Kreatin im Fokus: Was klinische Studien über seine Wirkung bei neurodegenerativen Erkrankungen zeigen
Leila WehrhahnAktualisiert:Das Wichtigste in Kürze:
Kreatin wird wegen seines Energiepuffer Modells im Gehirn geprüft. Große Studien zu Parkinson und Huntington zeigten keinen klinischen Nutzen. Bei ALS ergaben RCTs keinen Vorteil. Bei Alzheimer gibt es 2025 nur eine kleine unkontrollierte Pilotstudie mit Anstieg des Gehirn Kreatins und verbesserten Tests. Das ist kein Wirksamkeitsbeleg. Übliche Dosis im Alltag sind 3 bis 5 g pro Tag. Generell gut verträglich. Kreatinin kann eGFR Messungen verfälschen. Therapie nicht ersetzen.
Kreatin hat im Muskel klar belegte Vorteile – und Hinweise auf kognitive Effekte bei Älteren gibt es ebenfalls. Aber kann es den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen wirklich bremsen? In diesem Artikel führen wir Sie ohne Umschweife durch die besten Humanstudien zu Morbus Parkinson, Chorea Huntington, ALS und Alzheimer – mit praxisnahen Dosierungen, Sicherheitsaspekten und konkreten Empfehlungen für deutsche Leserinnen und Leser.
Große Studien zu Parkinson und Huntington waren negativ; ALS‑Studien zeigten keinen Nutzen; bei Alzheimer gibt es 2025 erste kleine Pilot‑Signale ohne Kontrollgruppe – spannend, aber noch keine Wirksamkeitsbelege.
Warum Kreatin überhaupt fürs Gehirn getestet wurde
Das Kreatin‑Phosphokreatin‑System dient als zellulärer „Energiepuffer“, der ATP in kurzfristig hochbelasteten Geweben wie Hirn und Muskel stabil hält. Kreatin gelangt über den Transporter SLC6A8 (auch „Creatine Transporter 1“) ins Gehirn; präklinisch wurden Zusammenhänge zu Mitochondrienfunktion, oxidativem Stress und potenzieller Neuroprotektion beschrieben. Diese biologische Plausibilität erklärt, warum Kreatin in mehreren neurodegenerativen Indikationen klinisch geprüft wurde. Übersicht 1, Übersicht 2
Wichtig für die Erwartungshaltung: Vielversprechende Tierdaten übersetzen sich oft nicht in klinische Vorteile beim Menschen – in der Neurologie ist diese „Translationslücke“ gut dokumentiert. Deshalb sind klinische Endpunkte entscheidend. Hintergrund
Kreatin hat ein gutes bioenergetisches Wirkmodell im Gehirn. Aber Tier- und Zellstudien reichen nicht – am Ende zählen Humanstudien mit klinischen Endpunkten.
Was die Humanstudien zeigen – Erkrankung für Erkrankung
Morbus Parkinson (Parkinson’s disease, PD)
- Phase‑II (NET‑PD Futility): In einem Programm mit frühem PD zeigte Kreatin (10 g/Tag) genügend Signal, um eine große Phase‑III‑Studie zu rechtfertigen („nicht futtil“). Studie, Programmübersicht
- Phase‑III LS‑1 (NINDS): 1.741 früh behandelte PD‑Patienten, 10 g/Tag Kreatin vs. Placebo, mediane Nachbeobachtung 4 Jahre. Die Studie wurde 2013 aus Gründen der Futility gestoppt – kein Vorteil im zusammengesetzten klinischen Endpunkt. Zudem zeigte sich, dass supplementationsbedingte Serum‑Kreatinin-Anstiege eGFR‑Bewertungen verfälschen können. Ergebnis: robustes Design, keine klinische Wirkung. JAMA‑Publikation zum LS‑1‑Ergebnis.
- Meta‑Analysen: Keine sinnvolle Verbesserung in UPDRS‑Domänen; eine Analyse fand einen kleinen Hinweis bei der Schwab-&-England‑ADL‑Skala, jedoch ohne Praxisrelevanz. Aktualisierte BMC‑Meta‑Analyse.
Selbst mit 10 g/Tag über mehrere Jahre zeigte Kreatin in der größten PD‑Studie keinen klinischen Nutzen. Meta‑Analysen stützen das.
Chorea Huntington (Huntington’s disease, HD)
- Frühe Phase‑II (CREST‑HD): 8 g/Tag senkten einen DNA‑Oxidationsmarker (8OHdG), dessen Eignung als Wirksamkeitsmarker später in Frage gestellt wurde. Studie, Hintergrund
- PRECREST (prämanifest/at‑risk): Hochdosis (bis 30–35 g/Tag) war durchführbar; in der Bildgebung zeigte sich ein Hinweis auf verlangsamte kortikale/striatale Atrophie – explorativ, ohne klinischen Endpunkt. PRECREST‑Publikation.
- CREST‑E (größte HD‑RCT): Bis 40 g/Tag; Studie wegen Futility gestoppt, kein Effekt auf den primären Funktionsendpunkt (Total Functional Capacity). Gastrointestinale Nebenwirkungen traten häufiger auf; ein Geschlechtsunterschied blieb explorativ. Neurology‑Publikation CREST‑E.
Sogar sehr hohe Dosen (bis 40 g/Tag) bremsten die klinische Verschlechterung in HD nicht. Bildgebungs-Hinweise in sehr frühen Stadien sind interessant, aber unbewiesen.
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
- Mehrere RCTs (5–10 g/Tag): Kein Vorteil bei Überleben oder Progression. Eine Cochrane‑Analyse mit Individualdaten bestätigt die fehlende Wirkung bei guter Verträglichkeit. Praktisch heißt das: Kreatin ist in üblichen ALS‑Dosen vermutlich nicht krankheitsmodifizierend.
Bei ALS zeigten 5–10 g/Tag in RCTs keinen messbaren Nutzen auf Überleben oder Krankheitsverlauf.
Alzheimer‑Krankheit (AD)
- Neue Pilotdaten 2025: Einarmige Machbarkeitsstudie (20 g/Tag für 8 Wochen; n=20) zeigte eine Erhöhung des Gehirn‑Gesamtkreatins per MRS (~+11%) und Verbesserungen in mehreren kognitiven Kompositen. Ohne Kontrollgruppe ist das hypothesengenerierend, nicht beweisend. Offener Volltext der Pilotstudie.
- Muskel‑Endpunkte (gleiche Kohorte): Berichtete Zuwächse bei Kraft/Umfang – erneut einarmig. Relevanz: mögliche periphere Vorteile; kognitive, krankheitsmodifizierende Effekte bleiben ungetestet. Frontiers in Nutrition (2025).
- Regulatorische Einordnung: Die EFSA sah 2024 für gesunde Erwachsene keine ausreichende Evidenz für einen generellen Kognitions‑Health‑Claim zu Kreatin – ein Hinweis, dass stärkere Humanbelege fehlen.
- Was als Nächstes kommt: RCTs mit höherer Dosis, MRS als Pharmakodynamik‑Marker und harten kognitiven Endpunkten – das laufende Programm nutzt u. a. das Protokoll CABA/NCT05383833.
Bei Alzheimer gibt es erste Machbarkeits- und Zielerreichungsdaten (Gehirn-Kreatin steigt), aber noch keine placebokontrollierten Wirksamkeitsstudien.
Warum übersetzen starke Tierdaten so selten in echte Krankheitsmodifikation?
- Hirnaufnahme/Transporter‑Limits: Das Anheben von Hirn‑Kreatin beim Menschen ist möglich, aber oft geringer als im Muskel und erfordert höhere Dosen; ob das relevante Krankheitswege beeinflusst, ist offen. Studie, Pilot-MRS
- Krankheitsstadium und Timing: Präventive/Prodromal‑Phasen könnten empfänglicher sein (vgl. PRECREST‑Atrophiesignal), während frühe manifeste Stadien in PD/HD negativ waren. Beleg
- Endpunkte und Dauer: Biomarker (z. B. 8OHdG, MRI‑Atrophie) garantieren keinen funktionellen Nutzen. Die großen PD/HD‑Studien liefen Jahre – trotzdem ohne klinischen Vorteil. CREST‑E, LS‑1
- Dosis und Verträglichkeit: Bis 40 g/Tag wurden in HD getestet; GI‑Nebenwirkungen nahmen zu, Adhärenzprobleme können die Power schmälern. Details
- Messartefakte in der Nephrologie: Supplementiertes Kreatin kann Serum‑Kreatinin anheben, sodass eGFR scheinbar schlechter aussieht – ohne echte Nierenschädigung. Das erschwert Monitoring in Studien und Praxis. Beispiel, Übersicht
Höhere Hirnwerte sind machbar, aber schwerer zu erreichen als im Muskel. Frühe Stadien und kluge Endpunkte könnten entscheidend sein – bisher fehlen aber robuste klinische Effekte.
Sicherheitsprofil und praxisrelevante Dosierungen
Über große PD‑Dosen (10 g/Tag, mehrjährig) und sehr hohe HD‑Dosen (bis 40 g/Tag) traten keine organspezifischen Toxizitätssignale gegenüber Placebo auf; GI‑Beschwerden und Wasser-/Gewichtszunahme waren unter hohen Dosen häufiger. Gleichzeitig ist die Interpretation der Nierenlabore heikel, weil Serum‑Kreatinin durch Kreatin ansteigt (scheinbar schlechtere eGFR). LS‑1, CREST‑E
Alltag vs. Studien: Für allgemeine Gesundheit und Performance nutzen Konsumentinnen und Konsumenten meist 3–5 g/Tag Kreatin‑Monohydrat – deutlich weniger als in Neuro‑Studien und keine „krankheitsmodifizierenden“ Dosen. Eine seriöse Übersicht der International Society of Sports Nutrition fasst typische Protokolle und die gute Langzeitsicherheit in gesunden Personen zusammen. ISSN‑Positionspapier
Kreatin gilt insgesamt als gut verträglich. Hohe Neuro‑Dosen führen häufiger zu GI‑Beschwerden; Standard-Verbraucherdosen liegen bei 3–5 g/Tag und sind keine Therapiedosen.
Was Sie jetzt tun können – konkret für Leserinnen und Leser in Deutschland
Wenn Sie oder ein Angehöriger PD, HD oder ALS haben
- Die beste Evidenz unterstützt keine krankheitsmodifizierende Wirkung von Kreatin in PD und HD (negativ in großen, lang laufenden RCTs) und keinen Nutzen in ALS bei 5–10 g/Tag (Cochrane/IPD). Setzen Sie Standardtherapien nicht zugunsten von Kreatin ab. LS‑1/JAMA; CREST‑E; Cochrane ALS.
Wenn Sie Kreatin für Longevity oder kognitive Unterstützung erwägen
- Realistische Ziele: Metaanalysen deuten auf kleine kognitive Vorteile – vor allem bei Älteren – hin; Behörden wie die EFSA sehen derzeit aber keine ausreichende Grundlage für einen allgemeinen Kognitions‑Health‑Claim. Meta‑Analyse Gedächtnis; EFSA‑Stellungnahme 2024.
- Vorschlag zur Besprechung mit Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin: Kreatin‑Monohydrat (drittanbieter‑getestet), 3–5 g/Tag zu einer Mahlzeit; auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten; GI‑Verträglichkeit beobachten. Bei höherem Alter/Komorbiditäten können Basis‑Nierenwerte sinnvoll sein – bedenken Sie, dass Serum‑Kreatinin unter Kreatin steigen kann, ohne echte Schädigung. LS‑1‑Sicherheitsdaten inkl. eGFR‑Thema. Eine praxisnahe Übersicht zu Dosierung, Ladephase und Erhaltungsdosis finden Sie in unserem Kreatin‑Dosierungsleitfaden.
Wenn Sie mit Alzheimer zu tun haben (Betroffene & Pflegende)
- Die jüngsten Pilotdaten rechtfertigen Interesse, aber keinen Therapieanspruch. Wenn ein „Studien‑ähnliches“ Vorgehen erwogen wird (höhere Dosen, MRS‑Monitoring etc.), dann ausschließlich gemeinsam mit Ihrer Neurologie und mit Blick auf laufende/kommende RCTs wie CABA/NCT05383833.
Was 2025+ wichtig wird
- Alzheimer‑RCTs mit höherer Dosis, MRS‑Zielerreichung (Gehirn‑Kreatin) und robusten kognitiven Endpunkten; das CABA‑Protokoll setzt genau dort an.
- Bessere Strategien zur Erhöhung von Hirn‑Kreatin (Timing, Dosis, Transporter‑Biologie) und klarere Responder‑Subgruppen (z. B. prämanifeste Stadien). Aktuelle Übersichten fassen Mechanismen und offene Fragen zusammen.
Labor‑Tipp in Deutschland: Warum Ihre eGFR unter Kreatin „schlechter“ aussehen kann
Wenn Sie Kreatin einnehmen, kann Ihr Serum‑Kreatinin steigen – das ist biochemisch plausibel und bedeutet nicht automatisch eine verschlechterte Nierenfunktion. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin über die Interpretation der eGFR. Als Ergänzung kommen Cystatin‑C oder kombinierte Formeln (eGFRcr‑cys) in Frage; sie sind weniger abhängig von Muskelmasse/Zufuhr, haben aber ebenfalls Limitationen. Übersicht, Vertiefung
Kreatin kann das Laborbild (Kreatinin/eGFR) verfälschen, ohne die Nieren zu schädigen. Klären Sie vorab, wie Ihr Labor interpretiert wird – ggf. Cystatin‑C mitbestimmen.
Wichtiger Hinweis
Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine ärztliche Beratung. Personen mit Nierenerkrankungen, Bluthochdruck oder unter nephrotoxischer Medikation sollten Kreatin nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt/ihrer Ärztin sowie der Apotheke einnehmen. Bei neurodegenerativen Erkrankungen Kreatin nicht als Therapieersatz verwenden.
Key Takeaways
- PD, HD, ALS: Humanstudien bisher negativ für Krankheitsmodifikation – Kreatin ist keine Therapie. JAMA LS‑1, Neurology CREST‑E, Cochrane ALS
- AD: Spannende Pilot‑Signale (Gehirn‑Kreatin ↑, kognitive Scores ↑), aber noch keine RCT‑Wirksamkeitsbelege. Pilotdaten
- Allgemeine Nutzung: 3–5 g/Tag Kreatin‑Monohydrat ist die übliche Verbraucher‑Dosis; bei Nierenthemen ärztlich begleiten und eGFR richtig interpretieren. ISSN‑Positionspapier, LS‑1‑Sicherheitsdaten
Mini‑FAQ (für deutsche Leserinnen und Leser)
Hilft Kreatin bei Parkinson? Große Phase‑III‑Studie (10 g/Tag, mehrere Jahre) negativ; gestoppt wegen Futility. Details zur LS‑1‑Studie.
Huntington? Bis 40 g/Tag bremsten den Funktionsverlust nicht; in prämanifesten Stadien gab es explorative Bildgebungssignale. CREST‑E; PRECREST.
ALS? RCTs und Cochrane zeigen keinen Nutzen bei 5–10 g/Tag. Cochrane/IPD‑Analyse.
Alzheimer? Bisher nur eine kleine, unkontrollierte Pilotstudie; Gehirn‑Kreatin und Tests verbesserten sich über 8 Wochen – RCTs fehlen. Pilotdaten.
Ist es sicher? Generell gut verträglich; GI‑Beschwerden und Wassergewicht möglich. Kreatinin‑basierte eGFR kann „schlechter“ erscheinen, ohne echten Nierenschaden – bitte mit Arzt/Ärztin die Labore abstimmen. Sicherheitsdaten LS‑1.

