Kreatin und Gehirnstoffwechsel: Treibstoff für Neuronen
Leila WehrhahnAktualisiert:15:00 Uhr. Das To-do-Board ist noch halb voll, aber Ihr Kopf fühlt sich leer an: Namen fallen nicht ein, der Fokus bricht weg, die innere Stimme ruft nach Kaffee. Muskulatur kennt solche Dips – und hat dafür einen schnellen Energiespeicher: Phosphokreatin. Überraschung: Ihr Gehirn nutzt denselben Trick. Dieser Artikel erklärt, wie Kreatin den zerebralen Energiestoffwechsel puffert, wann das tatsächlich die Leistung stützen kann, für wen sich ein Versuch lohnt – und wie Sie Kreatin sicher, EU-konform und realistisch testen.
Zusammenfassung
- Kreatin dient im Gehirn als schneller ATP-Puffer über das Phosphokreatin-System (Kreatin-Kinase).
- Die Evidenz ist am stärksten in Situationen mit Schlafentzug/mentaler Ermüdung, bei hoher kognitiver Last, bei Vegetarier:innen/Veganer:innen (niedrigere Ausgangswerte) und teils bei Älteren; für Erkrankungen gemischt bis negativ.
- Bestbelegt ist Kreatin-Monohydrat; typische Dosis: 3–5 g/Tag.
- Das Gehirn sättigt langsamer als der Muskel; Effekte sind oft erst nach Wochen messbar.
- Für gesunde Erwachsene gilt Kreatin als gut verträglich; bei Nierenerkrankung oder Risikofaktoren zuerst mit Ärzt:in sprechen.
- EU-Claims: Zugelassen ist eine Sport-Performance-Aussage bei 3 g/Tag; keine zugelassene Kognitions-Claim – keine Heilsversprechen.
Gehirn-Energie 101: Warum Neuronen einen „Puffer“ brauchen
Neuronen verbrauchen enorm viel Energie: Ionenpumpen für Ruhepotenziale, synaptische Übertragung und Plastizität benötigen kontinuierlich ATP. Bei Aktivitätsspitzen reicht die mitochondriale ATP-Produktion allein nicht immer aus – hier greift das Phosphokreatin-System. Kreatin wird via Kreatin-Kinase reversibel zu Phosphokreatin (PCr) phosphoryliert und kann bei Bedarf sehr schnell ATP regenerieren (ADP + PCr → ATP + Kreatin). Dieses „Shuttle“ verbindet Mitochondrien (Produktion) mit synaptischen Hotspots (Verbrauch) und stabilisiert die Energiebereitstellung auf Millisekunden- bis Sekunden-Skalen. Histochemische und biochemische Daten zeigen, dass mitochondriale und zytosolische Kreatin-Kinasen kompartimentiert in Neuronen vorliegen – ein anatomisches Substrat für die Energieübertragung, das funktionell durch MRS- und Diffusionsmessungen der Hochenergiephosphate gestützt wird. (pmc.ncbi.nlm.nih.gov, pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Das Gehirn nutzt – wie der Muskel – Phosphokreatin als schnellen Energiespeicher. So kann es bei Aktivitätsspitzen ATP in Sekundenbruchteilen nachliefern.
Kreatin-Basics: Synthese, Transport, Formen
Kreatin entsteht endogen aus Glycin, Arginin und Methionin (AGAT/GAMT) und wird zusätzlich über die Nahrung aufgenommen (v. a. Fleisch/Fisch). In das Gehirn gelangt es über den Kreatin-Transporter SLC6A8 an der Blut-Hirn-Schranke; Störungen dieses Transports führen zu seltenen Kreatinmangelsyndromen. Wichtig: Das Gehirn steigert seinen Kreatingehalt langsamer als der Muskel – MRS-Studien zeigen nach 2–4 Wochen hochdosierter Zufuhr Anstiege um ca. 5–15 %, mit individueller Variation. Als Referenzstandard gilt Kreatin-Monohydrat; andere Formen sind teurer, ohne konsistenten Zusatznutzen. Qualitätsmerkmal aus deutscher Sicht: „Creapure“ (deutsche Herstellung, Chargen-Tests, Kölner Liste). (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov, creapure.com).
Kreatin-Monohydrat ist der Goldstandard. Das Gehirn nimmt Kreatin langsamer auf als der Muskel – Geduld lohnt sich.
- Mehr zur Transporter-Biologie: Übersichtsarbeit zu Synthese/Transport.
- Qualitätsinfo: Creapure – Herstellung und Tests.
Was sagt die Forschung zu Kognition und Gehirnfunktion?
Akut und kurzzeitig: Schlafentzug, mentale Ermüdung
Unter Schlafentzug und hoher mentaler Last zeigt Kreatin teils kleine, aber praktische Vorteile in Aufmerksamkeit/Arbeitsgedächtnis. Ein Placebo-kontrolliertes Crossover bei Athleten fand nach einer Einzeldosis Kreatin Schutz vor Leistungsabfall durch Schlafentzug. 2024 zeigte eine hochdosierte Einmalgabe (≈0,35 g/kg) während totalem Schlafentzug MRS-Veränderungen (PCr/ATP) und verbesserte Reaktionszeiten/Arbeitsgedächtnis über mehrere Stunden. Diese Dosen sind forschungsnah; für den Alltag bleibt die tägliche, moderate Zufuhr der sinnvollere Weg. (jissn.biomedcentral.com, pub.dzne.de).
Langfristige Einnahme: Baseline-Kognition
Metaanalysen aus 2022 und 2024 berichten kleine positive Effekte auf Gedächtnis (SMD ≈ 0,29–0,31) und teilweise Verarbeitungsgeschwindigkeit/Aufmerksamkeitszeit, ohne konsistenten Gesamteffekt auf „globale“ Kognition. Größere Vorteile zeigen sich tendenziell in Subgruppen mit niedrigerem Ausgangsstatus (z. B. ältere Erwachsene) oder spezifischen Belastungen. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Zu Vegetarier:innen/Veganer:innen ist die Literatur heterogen: Eine RCT zeigte größere Verbesserungen im Gedächtnis bei Vegetarierinnen (Kurzzeit-Hochdosis), während eine aktuelle, gut designte RCT (6 Wochen, 5 g/Tag) nur kleine Effekte fand und keinen Vorteil für Vegetarier:innen gegenüber Omnivoren. MRS-Daten deuten darauf, dass das Gesamtgehirn-Kreatin bei Vegetarier:innen nicht zwingend niedriger ist – trotz geringerer Zufuhr. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov, bmcmedicine.biomedcentral.com).
Ältere Erwachsene
Einige Studien und eine Meta-Analyse zeigen bei 66–76-Jährigen moderat bis große Verbesserungen in Gedächtnistests im Vergleich zu Jüngeren, allerdings mit Heterogenität zwischen Studien. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Stimmung und klinische Kontexte (adjuvant, nicht kurativ)
Bei Depression gibt es kleine RCTs mit additiver Gabe zu SSRI, die schnellere Symptomverbesserungen v. a. bei Frauen zeigen; Evidenz ist vorläufig und ersetzt keine Therapie. Ergebnisse bei bipolarer Depression sind gemischt (ein positiver Remissionsendpunkt in kleiner Stichprobe, aber auch hypomane Switches). (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Traumatische Hirnverletzung/Hypoxie: Tier- und kleine Pilotdaten liefern eine plausible Bioenergetik-Rationale; human-klinische Evidenz ist bislang begrenzt (offene/kleine Studien, laufende RCTs zu Post-Concussion-Symptomen). (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Neurodegenerative Erkrankungen: Große, hochwertige Studien waren neutral/negativ für Krankheitsverlauf (Parkinson NET-PD LS-1; Huntington CREST-E). Daher keine Versprechen zur Verlangsamung der Erkrankung. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Regulatorischer Kontext: 2024 bewertete die EFSA einen vorgeschlagenen Kognitions-Health-Claim zu Kreatin und verneinte eine Ursache-Wirkungs-Beziehung für kognitive Verbesserung in der Allgemeinbevölkerung. (efsa.europa.eu).
Kreatin kann unter Stress (Schlafentzug, hohe Last) und bei einzelnen Gruppen (z. B. Ältere) kleine Vorteile bringen. Für Krankheiten gibt es keine Belege für eine Verlangsamung des Verlaufs.
Wer profitiert wahrscheinlich am meisten?
- Vegetarier:innen/Veganer:innen (niedrigere Zufuhr über die Ernährung; individuelle Effekte variieren).
- Student:innen in Prüfungsphasen, Schichtarbeitende, neue Eltern, Wissensarbeiter:innen unter hoher kognitiver Last.
- Ältere Erwachsene mit Interesse an mentaler Leistungsfähigkeit im Alltag.
- Sportler:innen mit taktischer/kognitiver Doppelbelastung im Spiel.
Wichtig: Kreatin ersetzt nicht Schlaf, ausgewogene Ernährung, Bewegung, psychische/medizinische Versorgung oder verordneten Therapiepläne. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Praxis: 4–12 Wochen Protokoll für „Brain first“
Produkt/Form
- Kreatin-Monohydrat-Pulver, ideal mit Chargen- und Reinheitsnachweisen (GMP/FSSC 22000, Kölner Liste). Infos zu Creapure (deutsche Herstellung).
Dosierung
- Konservativ: 3–5 g einmal täglich zu einer Mahlzeit.
- Optionales Laden: ~20 g/Tag in 4 Portionen über 5–7 Tage, danach 3–5 g/Tag. Hinweis: Gehirn-Effekte brauchen oft trotzdem Wochen.
Timing & Dauer
- Konstanz schlägt Timing. Viele vertragen Einnahme mit Frühstück oder nach dem Essen besser. Auf Hydration achten.
- Erwarten Sie 4–8+ Wochen bis zu möglichen kognitiven Veränderungen; muskuläre Effekte treten meist früher auf. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Optionales „Stacking“ (Evidenz vorläufig)
- Omega-3 (DHA/EPA) für Membrangesundheit; cholinreiche Lebensmittel; Magnesium. Keine Synergien versprechen.
Erfolg tracken (einfach)
- Baseline (Woche 0): 3–5 Minuten Selbsttests (z. B. Ziffernspanne rückwärts, Reaktionszeit-App), subjektive Energie/Stimmung (1–10), Schlafstunden.
- Woche 2, 4, 8: Wiederholen; auf GI-Verträglichkeit, Gewicht (Wasser), „mentale Ausdauer“ achten.
Sicherheit, Nebenwirkungen, Interaktionen
Für gesunde Erwachsene gilt Kreatin bei üblichen Dosen als gut verträglich. Häufigste Effekte: milde GI-Beschwerden bei großen Einzeldosen; 0,5–1,5 kg Gewichtszunahme durch intrazelluläres Wasser. Metaanalysen und RCTs zeigen bei gesunden Personen keine schädlichen Effekte auf die Nierenfunktion; Kreatinin kann steigen, ohne Nierenschaden zu bedeuten. Bei vorbestehender Nierenerkrankung, Nephrotoxika oder Risikofaktoren: vorab ärztlich klären und ggf. Kreatinin/Cystatin C monitoren. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Koffein: Die Interaktion ist uneinheitlich – einige Studien zeigen keine Probleme, andere deuten auf eine Abschwächung, wenn Koffein während einer Ladephase mitgenommen wird. Praktisch: Wer sensibel ist, trennt die Einnahmen um einige Stunden und beobachtet die eigene Reaktion. (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).
Hydration/Elektrolyte: Flüssigkeitsbedarf kann leicht steigen. Schwangerschaft/Stillzeit: Human-Daten sind unzureichend; ohne ärztlichen Rat nicht verwenden. Jugendliche: mit Kinderarzt besprechen; erst Ernährung/Schlaf priorisieren. (mdpi.com).
Standarddosen sind für Gesunde gut verträglich. Bei Nierenthemen und in Schwangerschaft/Stillzeit gilt ärztliche Rücksprache. Koffein-Kombis individuell testen.
Lebensmittel vs. Supplement
Viel Kreatin steckt in rotem Fleisch (z. B. Rind) und einigen Fischen (z. B. Hering). Durch Garen gehen Anteile verloren. Vegane Ernährung liefert praktisch kein Kreatin; hier ist Supplementation der pragmatische Weg. Vorteil Nachhaltigkeit: Kreatin-Monohydrat wird synthetisch hergestellt, ohne Tierressourcen. (link.springer.com).
Mythen vs. Fakten
- „Kreatin ist nur für Bodybuilder.“ → Nein, das Gehirn nutzt es ebenfalls.
- „Kreatin wirkt wie ein Stimulans.“ → Nein, es puffert Zellenergie – anders als Koffein.
- „Es schädigt die Nieren.“ → Bei Gesunden in Standarddosen nicht belegt; Sonderfälle ausnehmen.
- „Jede Form schlägt Monohydrat.“ → Monohydrat bleibt Referenzstandard.
- „Laden ist Pflicht.“ → Optional; fürs Gehirn zählen Wochen der Regelmäßigkeit.
Regulierung in DE/EU & Kaufberatung
Gesundheitsbezogene Angaben: In der EU ist die Aussage „Kreatin erhöht die körperliche Leistung bei Schnellkrafttraining im Rahmen kurzzeitiger intensiver Belastung“ bei 3 g/Tag zugelassen; ebenso eine Aussage zur Muskelkraftverbesserung 55+ in Kombination mit Widerstandstraining. Ein Kognitions-Claim ist (Stand 19.11.2024) nicht zugelassen. Vermeiden Sie krankheitsbezogene oder heilende Aussagen. (eur-lex.europa.eu, efsa.europa.eu).
Etikett in Deutschland: „Nahrungsergänzungsmittel“, Nettofüllmenge, Verzehrempfehlung, Hersteller/Importeur, Zutaten/Allergene, Chargennummer, Hinweise (z. B. außerhalb der Reichweite von Kindern). Orientierung bieten NemV und Behörden-FAQ. (bundestag.github.io, bvl.bund.de).
Qualitätsmerkmale: Drittanbieter-Tests, Rückstands- und Kontaminantenscreening, GMP/FSSC 22000, Kölner Liste. Kaufen Sie in Apotheken oder autorisierten Online-Shops; vorsichtig bei „Nootropic“-Mischungen mit zu wenig Kreatin. (creapure.com).
Do/Don’t
Do
- Täglich 3–5 g Kreatin-Monohydrat, 4–8 Wochen testen.
- Mit Mahlzeit einnehmen, gut hydriert bleiben.
- Outcome tracken (kurze Tests, Stimmung, Schlaf).
- Bei Vorerkrankungen Rücksprache mit Ärzt:in.
Don’t
- Kein Heilsversprechen bei Krankheiten erwarten.
- Kein „Mehr ist besser“ – hohe Einzeldosen erhöhen nur GI-Risiko.
- Koffein nicht zwangsläufig zusammen in Ladephasen.
4‑Wochen-Plan „Start hier“ (druckbar)
- Woche 0: Baseline-Tests, Monohydrat kaufen, Dosis wählen (3–5 g/Tag), Einnahmezeitpunkt festlegen.
- Woche 1–2: Täglich einnehmen; GI-Verträglichkeit, Hydration, Schlaf loggen.
- Woche 3: Mini-Re-Tests; Timing anpassen, falls nötig.
- Woche 4: Re-Tests; Entscheidung: auf 8–12 Wochen verlängern oder pausieren. Kein Nutzen trotz guter Basics? Absetzen erwägen.
Kreatinmangelsyndrome (Kurzinfo)
Seltene genetische Defekte in AGAT/GAMT (Synthese) oder im Transporter SLC6A8 können zu niedrigem Gehirn-Kreatin und Entwicklungsstörungen führen. Supplementation hilft bei Synthesedefekten, nicht bei Transportermangel – das ist ärztliches Terrain. (bmcmedgenet.biomedcentral.com, onlinelibrary.wiley.com).
Abschließender Hinweis & CTA
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Weitere Ressourcen: Entdecken Sie unsere Longevity‑Kollektion und lesen Sie den vertiefenden Beitrag „Kreatin: Zukunft & Potenziale“.