Kreatin in der Altersforschung: Potenzial im Kampf gegen Sarkopenie
Leila WehrhahnAktualisiert:Warum gehört Kreatin in die Altersvorsorge? Ab dem fünften Lebensjahrzehnt verliert der Mensch ganz natürlich an Muskelkraft und -masse. Spätestens jenseits der 70 ist bei vielen Deutschen die Griffkraft messbar reduziert – ein Kernmerkmal der Sarcopenie, also des altersbedingten Muskelabbaus. Das erhöht das Sturzrisiko, Krankenhausaufenthalte und am Ende den Verlust an Selbstständigkeit. Die gute Nachricht: Krafttraining ist die wirksamste Gegenmaßnahme. Und ein altbekanntes Sport‑Supplement rückt in der Alternsforschung zunehmend in den Fokus: Kreatin. Kombiniert mit progressivem Krafttraining kann Kreatin bei älteren Erwachsenen kleine, aber funktionell spürbare Zuwächse an fettfreier Masse und Maximalkraft ermöglichen – ohne Trainingsprogramm sind die Effekte hingegen uneinheitlich. In diesem Guide erfahren Sie, was die Evidenz bei Menschen 50+, inklusive Frauen nach der Menopause sowie Vegetarier:innen/Veganer:innen, tatsächlich hergibt, welche Dosierungen sinnvoll sind, wie es um Sicherheit und Nieren steht und welche Aussagen in der EU rechtlich zulässig sind.
Wenn Sie also “Muskelabbau im Alter” vorbeugen oder Sarcopenie aktiv angehen möchten, bekommen Sie hier einen nüchternen Überblick: was wirkt, was Hype ist, und wie Sie Kreatin praxisnah in Training und Alltag einbinden.
Fachliche Grundlage für den Sarcopenie‑Begriff: die EWGSOP2‑Definition (European Working Group on Sarcopenia in Older People, 2019). Zum EWGSOP2‑Konsens.
Muskelkraft sinkt mit dem Alter. Kreatin kann zusammen mit konsequentem Krafttraining kleine, aber spürbare Vorteile liefern – allein eingenommen sind Effekte unzuverlässig.
Mehr zum Thema finden Sie in unserem Blogbeitrag zu Kreatin & Sarcopenie; eine kuratierte Auswahl passender Produkte gibt es in unserer Longevity‑Kollektion.
Sarcopenie 101: Was bedeutet das nach EU‑Standard?
Die EWGSOP2-Definition rückt niedrige Muskelkraft ins Zentrum. So läuft die Einordnung: 1) Screening (z. B. SARC‑F, klinischer Eindruck), 2) Wahrscheinliche Sarcopenie, wenn Handgriffkraft niedrig ist (Cut‑offs: <27 kg Männer, <16 kg Frauen) oder der 5‑Stuhl‑Aufstehtest deutlich verlangsamt ist, 3) Sarcopenie bestätigt, wenn zusätzlich niedrige Muskelmenge/-qualität nachgewiesen wird (z. B. via DXA/BIA), 4) Schwere Sarcopenie, wenn zuletzt auch die körperliche Leistungsfähigkeit (z. B. Ganggeschwindigkeit) eingeschränkt ist. EWGSOP2‑Konsenspapier (Age and Ageing, 2019).
Warum das wichtig ist: Sarcopenie steht in engem Zusammenhang mit Stürzen, Gebrechlichkeit, Klinikaufenthalten und Pflegebedürftigkeit. Die EWGSOP2‑Revision hat zudem die prävalenzbezogene Landschaft verschoben: In Studien fällt die Häufigkeit mit EWGSOP2 bei Männern tendenziell geringer, bei Frauen ähnlich oder leicht höher aus als mit der alten Definition – was praktische Folgen für Vorsorge und Therapie hat. Klinische Perspektive zu Prävalenzverschiebungen unter EWGSOP2.
Sarcopenie wird in der EU primär über niedrige Kraft (z. B. Griffkraft) erkannt. Muskelmenge bestätigt die Diagnose, schlechte Performance markiert schwere Sarcopenie.
Wie Kreatin wirkt – leicht verständlich
Kreatin–Phosphokreatin‑System: Kreatin speichert in der Muskulatur als Phosphokreatin kurzfristig Energie und hilft, ATP bei kurzen, intensiven Belastungen schneller zu regenerieren. Mit dem Alter sinkt u. a. die Schnellkraft; genau dort kann ein gut gefüllter Kreatinspeicher unterstützen – vor allem, wenn der Muskel durch progressives Krafttraining gezielt gefordert wird. Mechanistik‑Übersicht.
Über die Muskulatur hinaus: Hinweise deuten darauf, dass Kreatin an myogenen Signalwegen (Satellitenzellen, myogene Faktoren) beteiligt ist und die Muskelqualität beeinflussen kann. In 12‑Monats‑Programmen mit Training sah man zudem in manchen Kohorten (v. a. Männern) günstige Signale an der Knochengeometrie (z. B. Tibia‑Querschnittsfläche) und an der Muskel‑Dichte. 1‑Jahres‑RCT: Knochengeometrie/Muskeldichte.
Gehirn? Kreatin puffert auch im Gehirn Energieflüsse. Das ist biologisch plausibel, doch klinisch sind die Effekte auf Kognition bislang uneinheitlich (siehe unten zu Evidenz und EU‑Claims).
Kreatin macht schnelle Energie verfügbar. Bei älteren Muskeln entfaltet es den größten Nutzen in Kombination mit Krafttraining; Hinweise auf Effekte an Knochen und Gehirn sind explorativ.
Was sagt die Evidenz bei älteren Erwachsenen (50+)?
Kraft und fettfreie Masse
Mehrere Meta‑Analysen zeigen: Kreatin plus progressives Krafttraining (≥6–12 Wochen) führt zu größeren Zuwächsen bei fettfreier Masse und Maximalkraft als Training allein – die Effekte sind moderat, aber funktionell bedeutsam (z. B. für Treppensteigen, Aufstehen, Tragen). MSSE‑Meta‑Analyse 2014, Nutrients‑Meta‑Analyse 2021 inkl. Einnahmestrategien.
Ohne Training sind die Resultate klein oder uneinheitlich – das Trainingsprogramm bleibt die Basis.
Einnahmestrategie: In Subanalysen schnitt ein klassisches Laden (5–7 Tage je 20 g/Tag in 4 Dosen) gefolgt von ≤5 g/Tag in manchen Setups besser ab, v. a. für Unterkörperkraft; gleichzeitig funktionieren auch konstante 3–5 g/Tag ohne Laden, wenn man etwas mehr Geduld mitbringt. Details zur Strategie.
Frauen 50+: Eine geschlechtsspezifische Meta‑Analyse berichtet konsistente Vorteile für die Oberkörperkraft bei älteren Frauen, während die Effekte auf Muskelmasse gemischt sind. Nutrients 2021, Frauen‑Meta‑Analyse.
Alltagsfunktion
Bei funktionellen Tests zeigen sich kleine, aber positive Trends: 5‑facher Aufstehtest (5x Chair‑Stand) und Griffkraft profitieren leicht; die Evidenzqualität variiert, das Gesamtbild ist jedoch günstig. JPEN 2024, systematisches Review/Meta‑Analyse.
Knochen
Realistische Erwartungen sind wichtig: In einer 2‑Jahres‑RCT bei postmenopausalen Frauen zeigte Kreatin keinen Vorteil bei der Knochendichte (BMD) gegenüber Placebo, trotz begleitetem Training; einzelne geometrische Parameter (z. B. Biegefestigkeits‑Surrogate) zeigten jedoch Signale, vor allem in männlichen Subgruppen in anderen Studien. 2‑Jahres‑RCT postmenopausale Frauen, 1‑Jahres‑Daten zu Geometrie/Muskeldichte.
Kognition
Die Studienlage ist heterogen: Einzelne Meta‑Analysen berichten kleine Verbesserungen (z. B. Gedächtnis/Verarbeitungsgeschwindigkeit), die bislang nicht robust genug für eine EU‑Health‑Claim‑Zulassung sind. Das bislang größte RCT (5 g/Tag, 6 Wochen, Cross‑over, n=123) fand bestenfalls kleine Effekte. Die EFSA hat am 30.10.2024 die kognitive Gesundheitsbehauptung nicht genehmigt. BMC Medicine 2023, größtes RCT, Meta‑Analyse 2022, EFSA 2024, kognitive Claim‑Bewertung.
Kreatin verbessert bei 50+ zusammen mit Krafttraining Kraft und fettfreie Masse moderat. Funktionelle Tests profitieren leicht, Knochen‑ und Kognitionsdaten sind gemischt.
Sicherheit, Nebenwirkungen und wer vorsichtig sein sollte
Allgemeine Sicherheit: Für gesunde Erwachsene gelten 3–5 g/Tag als gut verträglich. Häufigste Beobachtung ist ein vorübergehendes Wasserplus (v. a. intramuskulär), selten Magen‑Darm‑Unbehagen – das lässt sich oft durch Aufteilung in kleinere Portionen, Einnahme mit Mahlzeiten oder Auflösen in warmen Flüssigkeiten verbessern. Positionspapiere und Übersichten unterstützen dieses Sicherheitsprofil. ISSN‑Positionsstand Sicherheit/Effektivität.
Nieren: Kreatin kann das Labor‑Serumkreatinin erhöhen, ohne die Nieren zu schädigen – ein Messartefakt, da Kreatinin ein Abbauprodukt von Kreatin ist. Meta‑Analysen und Biomarker‑RCTs (inkl. Cystatin C, KIM‑1) zeigen bei gesunden Nutzer:innen keine nachteiligen Effekte auf die Nierenfunktion. Meta‑Analyse 2019, Biomarker‑RCT 2020.
Vorsicht/ärztliche Rücksprache: Chronische Nierenerkrankung (insb. eGFR <60 ml/min/1,73 m²), eGFR <30 ohne engmaschige ärztliche Kontrolle, Einnahme potenziell nephrotoxischer Medikamente, Schwangerschaft/Stillzeit (Datenlage begrenzt). Hier gilt: Nutzen/Risiko individuell mit Hausarzt/Nephrologe abstimmen.
Koffein‑Interaktion? Eine kleine Studie aus den 1990ern berichtete, dass Koffein die Ergogenese von Kreatin „aufheben“ könnte; neuere Untersuchungen finden keine konsistente, klinisch relevante Antagonisierung. Heißt: Kaffee ist nicht tabu, übertriebene „Stacking‑Versprechen“ sind aber unangebracht. Klassische Studie 1996, neuere Sprint‑Daten.
3–5 g Kreatin täglich gelten bei Gesunden als sicher. Kreatinin kann ansteigen, ohne die Niere zu schädigen; Risikogruppen sollten Werte überwachen und ärztlich Rücksprache halten.
EU/Deutschland: Was ist erlaubt – und was nicht?
Zulässige Aussage (Art. 13(1) EU): „Kreatin erhöht die körperliche Leistung bei aufeinanderfolgenden, kurzzeitigen, intensiven Belastungen“ – Bedingung: 3 g/Tag. Die Formulierung sollte sich am EU‑Register orientieren. EFSA‑Gutachten 2011.
Nicht zugelassen (Stand: angenommen am 30.10.2024, veröffentlicht am 19.11.2024): Health Claim „verbesserte Kognition/Gedächtnis“ – nicht belegt im Sinne einer Ursache‑Wirkungs‑Beziehung. Forschung darf neutral erläutert werden; Marketing‑Claims dazu sind zu vermeiden. EFSA‑Meinung 2024 zur Kognition.
Erlaubt: Leistungsclaim bei 3 g/Tag. Nicht erlaubt: Kognitions‑Claim (Stand Oktober/November 2024). Transparenz schafft Vertrauen.
So wenden Sie Kreatin gegen Muskelabbau im Alter konkret an
Wer profitiert besonders?
- Erwachsene ab ~55+, vor allem beim Einstieg in systematisches Krafttraining.
- Menschen mit niedriger Kreatinaufnahme (Vegetarier:innen/Veganer:innen) – oft größere Speicherzunahme und damit potenziell stärkere Reaktion. Vegetarier‑Studie.
Produkt/Qualität
- Kreatin‑Monohydrat bleibt der Goldstandard (Wirksamkeit, Reinheit, Preis‑Leistung).
- Achten Sie auf unabhängige Tests, um Verunreinigungen zu minimieren: z. B. Kölner Liste, NSF Certified for Sport oder Informed Choice.
Dosierung & Timing
- Einfach‑Plan: täglich 3–5 g, Zeitpunkt nach Belieben. Optionales Laden: 5–7 Tage je 20 g/Tag (in 4 Dosen), danach 3–5 g/Tag.
- Magenfreundlich: in warmen Flüssigkeiten vollständig lösen oder in Joghurt rühren; genug trinken.
Immer mit Training kombinieren
- Minimal wirksames Programm: 2–3 nicht aufeinanderfolgende Tage/Woche, 6–10 Übungen für große Muskelgruppen, 1–3 Sätze à 6–12 Wiederholungen bei RPE 7–9 (steigend über Wochen).
- Protein als Basis: insgesamt 1,0–1,2 g/kg/Tag; bei höherer Aktivität/Reha 1,2–1,5 g/kg/Tag, über den Tag verteilt. ESPEN/PROT‑AGE‑Empfehlungen.
Fortschritt messen (alle 6–8 Wochen)
- Kraft: 5x‑Chair‑Stand‑Zeit, Handgriffdynamometer.
- Funktion: 4‑m‑Ganggeschwindigkeit oder SPPB.
- Körperzusammensetzung: DXA (präferiert) oder BIA als zugänglicher Proxy.
Hinweis für Vegetarier:innen/Veganer:innen
Da die anfänglichen Muskelkreatinspeicher oft niedriger sind, ist der Antwortspielraum größer. Wer Ladephasen nicht mag, fährt mit 5 g/Tag konstant meist gut. Studie: stärkere Reaktion bei Vegetarier:innen.
Beste Resultate gibt es, wenn Sie täglich 3–5 g Kreatin einnehmen und 2–3×/Woche progressiv Kraft trainieren – plus ausreichend Protein.
Mythen vs. Fakten
- „Kreatin macht die Haare dünn.“ Es gibt keine belastbaren Daten zu Haarausfall; ein kleines DHT‑Signal in Sportlern ist nicht gleichbedeutend mit klinischem Haarverlust.
- „Kreatin schädigt die Nieren.“ Bei gesunden Erwachsenen deuten Meta‑Analysen und Biomarker‑RCTs auf keine Nierenschädigung bei Standarddosen hin; Kreatininanstiege sind oft ein Messphänomen. Meta‑Analyse, Biomarker‑RCT.
- „Ohne Laden bringt es nichts.“ Laden beschleunigt die Sättigung, aber tägliche 3–5 g funktionieren ebenfalls. Einnahmestrategien.
- „Kreatin‑HCl ist besser.“ Für praxisrelevante Endpunkte gibt es keine konsistenten Überlegenheitsdaten gegenüber Monohydrat; Monohydrat bleibt Referenz. ISSN‑Positionsstand.
Für Frauen 50+: Was ist anders?
Die Evidenz zeigt mit Training klare Vorteile für Kraft; die Ergebnisse zur Knochenmineraldichte sind gemischt und in der größten 2‑Jahres‑Studie ohne BMD‑Vorteil. Praktisch heißt das: Fokus auf progressive Unterkörper‑Kraft (Hüfte, Knie, Sprunggelenk) plus Balanceübungen; Dosierung wie bei Männern (3–5 g/Tag Kreatin‑Monohydrat). Frauen‑Meta‑Analyse, 2‑Jahres‑RCT postmenopausale Frauen.
Forschungslücken – darauf achten wir als Nächstes
- Hochwertige Endpunkte: Stürze, Klinikaufenthalte, Pflegebedürftigkeit in fraileren Populationen.
- Vergleiche: Head‑to‑head gegen Protein/HMB; optimale Dosierung nach Geschlecht, Ernährungsstil (vegetarisch) und Trainingsstatus.
- Kognition: größere, längere RCTs; die EFSA‑Entscheidung könnte sich mit neuer Evidenz ändern. JPEN 2024, BMC Medicine 2023, EFSA 2024.
Quick‑Start‑Checkliste
- Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt, wenn Sie eine Nierenerkrankung haben, nephrotoxische Medikamente einnehmen oder schwanger/stillend sind.
- Kaufen Sie Kreatin‑Monohydrat mit Drittanbieter‑Tests (z. B. Kölner Liste, NSF, Informed Choice).
- Nehmen Sie täglich 3–5 g und trainieren Sie 2–3×/Woche Kraft; Proteinziel: 1,0–1,2 g/kg/Tag (bei hoher Aktivität 1,2–1,5 g/kg/Tag).
- Messen Sie alle 6–8 Wochen Griffkraft und 5x‑Chair‑Stand; ziehen Sie nach 12 Wochen Bilanz.
Rechtliches & Hinweis
Health‑Claim‑Hinweis: Zulässig ist der Leistungsclaim bei 3 g/Tag (kurzzeitige, intensive Belastungen). Kognitive Claims sind Stand 30.10./19.11.2024 nicht genehmigt. EFSA 2011, EFSA 2024.
Medizinischer Disclaimer: Dieser Artikel ersetzt keine individuelle medizinische Beratung. Besprechen Sie Nahrungsergänzungen und Trainingspläne insbesondere bei Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme, Schwangerschaft/Stillzeit mit Ihrem behandelnden Arzt.