Kreatin fürs Gehirn: Gedächtnis, Denkleistung und Schutz vor Nervenschäden

Leila WehrhahnAktualisiert:

Vom Fitnessstudio ins Gehirn? Kreatin ist ein bewährter Klassiker für Muskelkraft – doch wie steht es um Gedächtnis, Kognition und Neuroprotektion. Für Leserinnen und Leser in Deutschland wichtig: Für kognitive Wirkungen gibt es in der EU aktuell keinen zugelassenen Health-Claim. EFSA‑Gutachten 2024.

„In der EU darf Kreatin Leistungs‑, aber keine kognitiven Wirkungen bewerben. Nutzen Sie es primär für Muskel und Alterungsprävention – mögliche Gehirn‑Effekte sind ein Bonus.“

Schnell erklärt – was Kreatin im Gehirn eigentlich macht

Kreatin und Phosphokreatin (PCr) bilden gemeinsam mit dem Enzym Kreatinkinase das wichtigste „Schnell‑Energie“-System der Zelle. In Neuronen dient das PCr‑ATP‑Shuttle als Puffer und Transportweg, um ATP genau dort rasch bereitzustellen, wo es in Spitzenlasten gebraucht wird (Ionenpumpen, Synapsen, Plastizität). Es existieren zelltypspezifische Kreatinkinase‑Isoformen (z. B. BB‑CK im Gehirn, mitochondriale CK), die strategisch in Mitochondrien und an ATP‑Verbrauchsorten positioniert sind. Die Aufnahme in das Gehirn erfolgt über den Kreatin‑Transporter SLC6A8; sie ist langsamer und begrenzter als im Muskel, weshalb Hirn‑Kreatin durch Supplementation steigt, aber meist über Wochen statt Tagen. Unter Energie‑Stress (z. B. Schlafentzug) kann die Aufnahme vorübergehend zunehmen. Grundlagen‑ und Humanarbeiten mit Magnetresonanzspektroskopie zeigen, dass sich PCr/ATP‑Verhältnisse im Gehirn nach Kreatin verändern – besonders in Regionen mit hoher Energienachfrage. Übersichtsarbeit zum CK/PCr‑System; MRS‑Studien am Menschen; Narrative Übersicht mit SLC6A8; Schlafentzug‑Studie 2024. Einen Überblick zur Rolle von Kreatin, Coenzym Q10 und NMN für die Zellenergie finden Sie hier: Kreatin, Coenzym Q10 und NMN – Zellenergie.

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Kreatin liefert dem Gehirn in Spitzenlasten schnell Energie. Es gelangt langsamer ins Gehirn als in den Muskel, kann dort aber ansteigen – vor allem bei Energie‑Stress wie Schlafmangel.

Was sagen Humanstudien zu Gedächtnis und Kognition?

Gedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit – hier ist die Evidenz am stärksten

Zwei aktuelle Meta‑Analysen bringen Ordnung in ein heterogenes Feld: Eine systematische Übersichtsarbeit (Nutrition Reviews, 2022/2023) fand insgesamt kleine, signifikante Vorteile fürs Gedächtnis, ausgeprägter bei Älteren (66–76 Jahre) als bei Jüngeren. Eine Auswertung von 2024 (Frontiers in Nutrition) berichtet zusätzlich positive Effekte auf „attention time“ und Verarbeitungsgeschwindigkeit, bei insgesamt niedriger bis moderater Evidenzsicherheit. Dagegen zeigten sich keine klaren Effekte auf „overall cognition“ oder exekutive Funktionen. Nutrition Reviews Meta‑Analyse; Frontiers in Nutrition 2024.

🔍 Kurz zusammengefasst

Meta‑Analysen zeigen kleine, aber messbare Vorteile für Gedächtnis und teils für Verarbeitungsgeschwindigkeit – besonders bei Älteren. Für „allgemeine Kognition“ gibt es keine eindeutigen Effekte.

Wer profitiert am meisten?

  • Ältere Erwachsene: Effektstärken sind in Analysen größer – möglicherweise wegen niedrigerer Basis‑Kreatinspeicher und höherer Energie‑Stress‑Last.
  • Vegetarier:innen/Veganer:innen: Klassische RCTs zeigen Vorteile v. a. bei geringerem Kreatin‑Basisstatus. Beispiel: Verbesserte Wortlisten‑Erinnerung und Arbeitsgedächtnis. Vegetarier‑Crossover‑Studie; Vergleich Vegetarier vs. Omnivoren.
  • Menschen unter Stressoren: Unter Hypoxie und Schlafentzug zeigte Kreatin in kleinen Studien Schutz für Aufmerksamkeit/Verarbeitung. Hypoxie‑Studie (J Neurosci); Schlafentzug‑Studie 2024.

Wann hilft Kreatin eher nicht?

Bei jungen, gesunden, ausgeschlafenen Personen unter Alltagsbedingungen sind Effekte oft null oder inkonsistent. Beispiel: ein RCT mit 6‑wöchiger Einnahme zeigte keine Vorteile gegenüber Placebo; ältere Reviews kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Systematische Übersicht 2018; RCT ohne Effekt bei jungen Erwachsenen.

Neuroprotektion: Was ist Signal – und was Rauschen?

Schlafentzug – vielversprechend, aber kein Heim‑Hack

In einer deutschen Studie (Scientific Reports, 2024) verbesserte eine einmalige, hohe Dosis (~0,35 g/kg) während 21 h Schlafentzug kurzfristig Verarbeitungskapazität und Kurzzeitgedächtnis; parallel änderten sich hochenergetische Phosphate im Gehirn. Die Forschenden warnen jedoch klar vor Selbstversuchen mit solchen Megadosen. Studie; Pressemitteilung von FZ Jülich.

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Hohe Einzeldosen können im Schlafentzug akut helfen, sind aber experimentell und potenziell belastend für die Nieren. Für den Alltag nicht empfohlen.

Traumatische Hirnverletzung (TBI) und Gehirnerschütterung

Kleine offene Studien bei Kindern/Jugendlichen (0,4 g/kg/Tag über Monate) berichten funktionelle Verbesserungen – die Evidenz ist aber noch vorläufig; mechanistisch ist Kreatin plausibel (ATP‑Puffer, Mitochondrien). Pilot‑RCT bei Kindern mit TBI; Narrative Übersicht zu TBI/Concussion.

Neurodegenerative Erkrankungen

Große, langjährige RCTs bei Parkinson (NET‑PD LS‑1; 10 g/Tag) und Huntington (CREST‑E; bis 40 g/Tag) zeigten keine Verlangsamung der klinischen Progression – Kreatin war sicher, aber nicht krankheitsmodifizierend. Parkinson LS‑1 (JAMA); Huntington CREST‑E (Neurology).

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Für schwere neurodegenerative Erkrankungen hat Kreatin in großen Studien die Krankheitsprogression nicht gebremst – trotz guter Sicherheit.

Stimmung und mentale Gesundheit – ein angrenzender Blick

In einer placebokontrollierten Studie bei Frauen mit Major Depression führte die Ergänzung von 3–5 g/Tag Kreatin zur SSRI‑Therapie zu schnelleren Symptomrückgängen und höheren Remissionsraten. Das ist vielversprechend, bleibt aber Zusatztherapie und gehört in ärztliche Hand; bei bipolarer Störung sind in kleinen Arbeiten manische Risiken diskutiert. SSRI‑Augmentationsstudie.

Dosierungsstrategien für Kognition (realistisch in Deutschland/EU)

Basis‑Alltagsschema (am praktikabelsten)

  • 3–5 g/Tag Kreatin‑Monohydrat in Wasser; Zeitpunkt egal – Regelmäßigkeit zählt. Erwartete Gehirn‑Effekte (falls vorhanden) eher nach mehreren Wochen; höhere Trefferquote bei Älteren, Vegetarier:innen oder unter kognitiver Stresslast. Meta‑Analyse Gedächtnis.

Ladephase

  • Muskel‑Protokolle (z. B. 20 g/Tag für 5–7 Tage) beschleunigen die Muskel‑Sättigung. Für Kognition ist Zusatznutzen unklar; sinnvoll, wenn Sie parallel Muskelziele verfolgen. Sicherheit bei Gesunden ist gut belegt. ISSN‑Positionspapier.

Akute Hochdosen bei Schlafmangel

  • Nicht zur Selbstanwendung empfohlen. Das ~0,35 g/kg‑Protokoll ist experimentell und wurde von den Forschenden selbst aus Sicherheitsgründen nicht als Alltagsstrategie empfohlen. Fokus lieber auf Schlafhygiene; bei unvermeidbaren Nachtschichten: beim Basisschema (3–5 g/Tag) bleiben. FZ‑Jülich‑Hinweis.

Formen und Qualität

  • Bleiben Sie bei Kreatin‑Monohydrat: beste Evidenz, gute Verträglichkeit, kosteneffizient. „Exotische“ Formen mit Brain‑Versprechen sind bislang nicht besser belegt.
  • Qualitätssicherung: bevorzugen Sie Ein‑Zutaten‑Pulver, Chargenprüfung durch Dritte (z. B. Kölner Liste, Informed Sport). Deutsche Hochrein‑Optionen sind verfügbar (Stichwort: Creapure), ohne dass daraus ein Zusatznutzen für Kognition abzuleiten wäre. Form‑/Qualitätsübersicht.

Sicherheit, Nebenwirkungen und EU/DE‑Kontext

Was gilt als „generell sicher“?

Für gesunde Erwachsene gelten 3–5 g/Tag langfristig als sicher. Typische Nebenwirkungen: vorübergehende Magen‑Darm‑Beschwerden, etwas Mehrgewicht durch Wasser. Kreatinin kann laborchemisch ansteigen, ohne dass eine Nierenerkrankung vorliegt. Positionen von Fachgesellschaften sowie Meta‑Analysen stützen ein gutes Sicherheitsprofil bei korrekter Anwendung. ISSN‑Positionspapier; Nieren‑Sicherheits‑Meta‑Analyse.

Wer sollte verzichten oder ärztlich abklären?

  • Vorbestehende Nierenerkrankungen oder erhöhtes Nierenrisiko (z. B. diabetische Nephropathie): vor Einsatz ärztlich klären.
  • Schwangerschaft/Stillzeit: Datenlage unzureichend.
  • Adoleszente: nur im Leistungssportumfeld mit fachlicher Begleitung.
  • Hohe Lade‑/Megadosen vermeiden; aus EU‑Sicht werden bis 3 g/Tag als unbedenklich bewertet. DGE‑Positionspapier.

Regulatorischer Realitätscheck (EFSA)

Die EFSA (19. November 2024) verneinte eine Ursache‑Wirkungs‑Beziehung zwischen Kreatin‑Supplementation und „Verbesserung der kognitiven Funktion“ in der Allgemeinbevölkerung. Produkte dürfen in der EU daher keine kognitiven Health‑Claims führen. Für Konsument:innen in Deutschland ist das wichtig bei der Produktauswahl. EFSA‑Beurteilung 2024.

Praxis‑Playbook (DE‑Fokus)

  • 60+ und Ziel „Gehirn & Muskel schützen“: 3–5 g/Tag plus 2–3×/Woche Krafttraining. Nach 8–12 Wochen subjektive Kognition (z. B. Wortlisten, Digit Span App) und Trainingsprotokoll prüfen.
  • Vegetarisch/vegan: 3–5 g/Tag können stärker wirken; auf Hydration und Protein achten.
  • Schichtarbeit/chronischer Schlafmangel: 3–5 g/Tag als Basis, Schlafhygiene priorisieren; keine akuten Megadosen.
  • Auf Antidepressiva (SSRI) und an Ergänzung interessiert: 3–5 g/Tag nur nach Rücksprache mit Ärztin/Arzt; Stimmung und ggf. Labore engmaschig monitoren.
  • Qualität wählen: Kreatin‑Monohydrat, Ein‑Zutaten‑Pulver, Chargen geprüft (z. B. Kölner Liste).

Häufige Fragen – kurz beantwortet

  • Koffein und Kreatin fürs Gehirn – stört sich das? Für sportliche Leistung teils gemischt, für Kognition fehlen belastbare Daten – verwenden Sie Koffein wie gewohnt, sofern verträglich.
  • Beste Einnahmezeit? Wann immer es passt – wichtiger ist tägliche Konsistenz.
  • Mit Kohlenhydraten mischen? Für Gehirnziele nicht nötig (kann für Muskel‑Loading sinnvoll sein).
  • Wie schnell sehe ich Effekte? Falls vorhanden, eher in Wochen – bei Älteren/Vegetarier:innen häufiger.

„Try this“ – 8–12‑Wochen‑Selbsttest (ohne Heilsversprechen)

  1. Start: 3–5 g/Tag Kreatin‑Monohydrat, täglich.
  2. Baseline erfassen: 2× Wortlisten‑Abruf (z. B. 15 Wörter, sofort + nach 20 Min.), Digit‑Span‑App (vor/zurück), subjektive Fokus‑Skala (0–10), 3 einfache Reaktions‑/Verarbeitungstests (App/Web).
  3. Training koppeln: 2–3×/Woche Krafttraining, 2–3 Grundübungen protokollieren.
  4. Woche 4, 8, ggf. 12: kognitive Mini‑Testbatterie und Training erneut erfassen; Hydration, Schlaf, Koffein protokollieren.
  5. Abbruchkriterien: anhaltende GI‑Beschwerden, neue gesundheitliche Probleme, Abweichungen in Laborwerten – ärztlich abklären.

Beleg‑Kästchen (Evidenz‑Highlights)

Was wir noch nicht wissen

  • Optimales Hirn‑Dosis‑/Zeitprofil (mit/ohne Ladephase)
  • Wer genau respondiert (Biomarker? MRS‑Baseline?)
  • Langzeit‑Outcomes auf Kognition im Alter
  • Warum Meta‑Analysen positive Signale zeigen, während die EFSA 2024 einen Claim verneint (Methodik, Studienqualität, Populationen)

Fazit

Für creatine brain health gilt 2025: „Vielversprechend, aber nicht bewiesen“ für die Allgemeinbevölkerung. Als günstiges, in der Regel gut verträgliches „Basis‑Supplement“ liefert Kreatin gesicherte Vorteile für Muskel‑ und Kraftziele im Alter und könnte – besonders bei Älteren, Vegetarier:innen oder unter Energie‑Stress – kleine kognitive Neben‑Effekte mitbringen. Innerhalb der EU‑Regeln sollten Produkte deshalb primär wegen ihrer Leistungs‑ und Muskel‑Evidenz gewählt werden – mögliche Gehirn‑Vorteile bleiben ein realistischer Bonus.

„Kreatins Gehirn‑Effekte scheinen am stärksten, wenn das Gehirn unter Energie‑Stress steht – z. B. im Alter, bei Schlafmangel oder Hypoxie.“

Hinweis/Haftungsausschluss (DE/EU): Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. In der EU ist kein kognitiver Health‑Claim für Kreatin zugelassen (EFSA). Sprechen Sie vor der Einnahme mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt – insbesondere bei Nierenerkrankungen, in Schwangerschaft/Stillzeit, bei Medikation oder psychischen Erkrankungen. EFSA‑Opinion.

Nächste Schritte

  • Abonnieren Sie unseren evidenzbasierten Longevity‑Newsletter (DE‑Fokus).
  • Laden Sie die 1‑Seiten‑Checkliste „Kreatin & Gehirn“ (Dosierung, Sicherheit, EU‑Regeln) herunter.
  • Erwägen Sie ein Arztgespräch, bevor Sie Kreatin mit Antidepressiva kombinieren.
  • Entdecken Sie unsere Longevity‑Kollektion mit passenden Produkten.
🔍 Kurz zusammengefasst

Kreatin ist für Muskelziele etabliert. Für Gedächtnis/Kognition zeigen Studien kleine Vorteile in ausgewählten Gruppen; große Krankheitsstudien blieben neutral. Sicherheit ist bei 3–5 g/Tag gut – EU‑Claims zu Kognition sind nicht erlaubt.

🧪 Qualität in Deutschland auswählen

Setzen Sie auf Kreatin‑Monohydrat als Ein‑Zutaten‑Pulver, prüfen Sie Chargenlisten (z. B. Kölner Liste) und bevorzugen Sie Hersteller mit dokumentierten Hygienestandards. Laden/„Megadosen“ meiden, wenn nicht medizinisch indiziert.