Kreatin, Coenzym Q10 & NMN im Vergleich: Wie unterschiedliche Energiepfade die Zellenergie beeinflussen
Leila WehrhahnAktualisiert:Fühlst du dich „energielos“? Im Alltag meinen wir damit vieles: Schnellkraft im Treppenhaus, Ausdauer beim Radeln, klaren Kopf im Meeting oder zügige Erholung nach Stress. Auf Zellebene sind das unterschiedliche Engpässe – und genau hier setzen drei populäre Supplements über drei verschiedene Pfade an: Creatin (Phosphocreatin-Puffer), Coenzym Q10 (Elektronentransport in den Mitochondrien) und NMN (NAD+‑Salvage‑Weg). Dieser Guide erklärt die Unterschiede, was realistisch zu erwarten ist – und worauf du in Deutschland/EU regulatorisch achten solltest.
- Creatin: Füttert das Phosphocreatin‑System für Sekunden‑bis‑Minuten‑Power. Beste Evidenz für Kraft/Leistung und für Erwachsene 55+ in Kombination mit Krafttraining. Rechtlich unproblematisch und preiswert.
- CoQ10: Co‑Faktor der mitochondrialen Atmungskette und Antioxidans. Klinische Nischen: Zusatztherapie bei Herzinsuffizienz (Studienlage positiv) und Migräneprophylaxe (moderate Effekte). Auf Interaktionen und Claim‑Grenzen achten.
- NMN: Vorstufe von NAD+. Mechanistisch plausibel, Humanstudien gemischt. In der EU als Novel Food (Stand 10.09.2025) nicht zugelassen – Vorsicht beim Kauf.
Nicht jede „Energie“ ist gleich
Zellen stellen ATP – die Sofortwährung der Energie – auf mehreren Ebenen bereit. Engpässe können auftreten bei: (1) der direkten ATP‑Pufferung durch Phosphocreatin (Sekunden), (2) der mitochondrialen ATP‑Produktion via Elektronentransportkette (Minuten bis Stunden) und (3) NAD+‑abhängigen Reparatur‑ und Stressantworten, die sich über Tage/Wochen anpassen. Creatin füllt primär den ultraschnellen Phosphocreatin‑Puffer, CoQ10 unterstützt den Elektronentransport zwischen Komplexen I/II und III, und NMN erhöht über den Salvage‑Weg die NAD+‑Verfügbarkeit – eher ein Thema für Stoffwechsel‑Flexibilität und Resilienz statt Sprint‑Power.
Energie hat in der Zelle unterschiedliche „Zeitskalen“. Creatin wirkt in Sekunden, CoQ10 über Minuten–Stunden, NMN eher über Wochen durch NAD+‑abhängige Anpassungen.
Creatin – schneller ATP‑Puffer für Power und Kraft
Wie es wirkt
Creatin erhöht die intramuskulären Phosphocreatin‑Speicher. Das Enzym Creatinkinase recycelt damit in Phasen hoher Nachfrage rasch ADP zu ATP. Zusätzlich unterstützt der „Phosphocreatin‑Shuttle“ den Transfer von Hochenergie‑Phosphat von den Mitochondrien zu energiehungrigen Orten in der Zelle – ideal für kurze, wiederholte Belastungsspitzen.
Creatin füllt den Kurzzeit‑Energiespeicher der Muskeln auf. Das bringt Vorteile bei kurzen, intensiven Belastungen und verbessert Trainingsanpassungen.
Was es messbar bringt
- Leistung/Kraft: Der EU‑Claims‑Body EFSA erkennt die Aussage an, dass Creatin die körperliche Leistung bei kurzzeitigen, hochintensiven, wiederholten Belastungen erhöht. Bedingung: 3 g/Tag. Siehe EFSA‑Gutachten zum Leistungsclaim.
- 55+ und Krafttraining: Für Erwachsene über 55 wurde ein Ursache‑Wirkungs‑Zusammenhang zwischen täglicher Creatin‑Einnahme (≥ 3 g/Tag) plus regelmäßigem Krafttraining und Kraftzuwachs festgestellt. Siehe EFSA‑Bewertung 2016.
Kognition: realistisch bleiben
Kurzfristige Hochdosen zeigen in Einzelstudien sporadische Effekte, aber die EFSA (2024) sah keinen gesicherten Ursache‑Wirkungs‑Nachweis für eine generelle Verbesserung kognitiver Funktionen durch Creatin bei Gesunden – dementsprechend sind breit gefasste „Brain‑Booster“‑Versprechen nicht zulässig.
Dosierung und Anwendung
- Form: Creatin‑Monohydrat.
- Dosis: Entweder „Loading“ 20 g/Tag für 5–7 Tage, dann 3–5 g/Tag; oder direkt 3–5 g/Tag ohne Ladephase. Konsistenz schlägt Timing; ausreichend trinken.
- Responder: Vegetarier/Veganer profitieren oft stärker, da niedrigere Ausgangsspeicher.
Sicherheit, Vorsicht, Recht
- Langzeit‑Sicherheit: Die ISSN‑Positionsstellung stuft Creatin bei gesunden Personen als sicher ein; eine Meta‑Analyse fand keine schädlichen Effekte auf Nierenparameter bei üblichen Dosierungen. Meta‑Analyse
- Nierenerkrankungen: Bei eingeschränkter Nierenfunktion oder nephrotoxischen Medikamenten ärztlich Rücksprache halten. Details
- Sportrecht: Creatin steht nicht auf der WADA‑Verbotsliste. Dennoch auf chargengetestete Produkte achten, um Kontaminationen zu vermeiden. Siehe WADA Prohibited List 2025.
CoQ10 – Mitochondriale Unterstützung mit klinischen Nischen
Wie es wirkt
Coenzym Q10 (Ubiquinon/Ubiquinol) pendelt als Elektronenträger zwischen den Komplexen I/II und III der Atmungskette und unterstützt so die oxidative Phosphorylierung; zusätzlich wirkt es als Antioxidans in Membranen. Dadurch passt CoQ10 besser zu „Ausdauer‑“ und „Erholungs“‑Aspekten als zu Sekunden‑Power.
CoQ10 ist ein Schlüsselmolekül im Elektronentransport der Mitochondrien und kann in bestimmten klinischen Situationen sinnvoll sein.
Was es messbar bringt
- Herzinsuffizienz (Adjunkt): In der RCT Q‑SYMBIO reduzierte CoQ10 (100 mg 3×/Tag) als Zusatz zur Standardtherapie größere kardiovaskuläre Ereignisse und Mortalität. Umsetzung nur ärztlich begleitet.
- Migräneprophylaxe: Meta‑Analysen berichten weniger Attacken pro Monat (Effektgrößen moderat, Heterogenität beachten). Siehe BMJ‑Meta‑Analyse 2021 und Dose‑Response‑Analyse.
- Statine: Statintherapie senkt Plasma‑CoQ10; bei statinassoziierten Myalgien zeigen Übersichtsarbeiten gemischte Ergebnisse – teils Symptomlinderung, CK unverändert. Siehe Plasma‑CoQ10‑Meta‑Analyse und JAHA‑Meta‑Analyse 2018.
Claims & Regulierung in der EU/Deutschland
Für die gesunde Allgemeinbevölkerung hat die EFSA allgemeine CoQ10‑Gesundheitsaussagen (z. B. „Energie‑Stoffwechsel“) nicht bestätigt, und das BfR sieht für Gesunde keine generelle Notwendigkeit der Zufuhr. Details in den Stellungnahmen von EFSA 2010 und dem BfR‑FAQ.
Dosierung und Anwendung
- Dosis: 100–300 mg/Tag zu Mahlzeiten mit Fett; geteilte Dosen verbessern Spiegel. Ob Ubiquinon oder Ubiquinol ist weniger entscheidend als die belegte Bioverfügbarkeit der konkreten Formulierung.
Sicherheit und wer aufpassen sollte
- Verträglichkeit: Meist gut, gelegentlich gastrointestinale Beschwerden.
- Interaktionen: Vorsicht bei Warfarin/Cumarin und ggf. Antihypertensiva; bei >100 mg/Tag ärztliche Begleitung sinnvoll. Siehe BfR‑Hinweise; Berichte zu Warfarin‑Interaktionen sind uneinheitlich (Fallberichte vs. kleine RCT). Übersicht
NMN – NAD+‑Vorstufe mit offenem EU‑Status
Wie es wirkt
Nicotinamid‑Mononukleotid (NMN) wird im Salvage‑Weg zu NAD+ recycelt. NAD+ treibt Redoxreaktionen, Sirtuine und PARP‑abhängige Reparaturprozesse an. Erwartbare Effekte betreffen eher metabolische Flexibilität, Erholung und Stressresilienz als akute Spitzenleistung.
NMN erhöht NAD+ über den Salvage‑Weg. Kurzfristig sind Effekte bei Gesunden begrenzt; die EU‑Rechtslage ist derzeit der größte Praxis‑Faktor.
Humanstudien – gemischtes Bild
- Positiv (Spezifische Gruppe): In einer 10‑wöchigen RCT bei übergewichtigen, postmenopausalen Frauen mit Prädiabetes stiegen muskuläre Insulinsensitivität und Insulinsignale unter NMN. Studie Yoshino et al., 2021.
- Neutral/Mischbefund: Eine Meta‑Analyse von acht RCTs (250–2.000 mg/Tag, bis 12 Wochen) zeigte keine signifikanten Verbesserungen von Nüchternglukose, Insulin, HbA1c oder Lipiden bei überwiegend gesunden Erwachsenen. Aktuelle Übersicht 2024.
- Sicherheit (kurzfristig): RCTs bis 1.250 mg/Tag über 4 Wochen berichten gute Verträglichkeit; Langzeitdaten fehlen. Sicherheits‑RCT.
EU/Deutschland – Rechtslage (Stand: 10.09.2025)
NMN gilt als Novel Food und ist als Nahrungsergänzungsmittel in der EU derzeit nicht zugelassen. Einträge und Updates finden sich im EU Novel‑Food‑Status‑Katalog sowie in EFSA‑Übersichten zu Novel Foods. Verbraucherzentralen warnen vor nicht konformen Produkten und fehlender Sicherheitsbeurteilung. Für zugelassene NAD‑Vorstufen ist in der EU Nicotinamid‑Ribosid (NR) als Novel Food bewertet und damit der regulatorisch saubere Weg. Quellen: EFSA Novel‑Foods‑Info, Verbraucherzentrale, EFSA‑Gutachten zu NR.
Welcher Pfad passt zu welchem Ziel?
- „Mehr Power im Training & Alltag“: Creatin (plus Krafttraining). EFSA‑Leistungsclaim anerkannt. Details
- „Diagnostizierte Herzinsuffizienz“ oder „häufige Migräne“: Ärztlich begleitet CoQ10 besprechen. Es gibt positive Evidenz, aber als Adjunkt zur Standardtherapie. Siehe Q‑SYMBIO und Migräne‑Meta‑Analyse.
- „Langlebigkeit & NAD+‑Neugier“: Zuerst Lebensstil (Schlaf, Bewegung, Protein/Niacin) optimieren; wenn Supplement, in der EU eher NR als NMN erwägen. Siehe EFSA‑NR‑Bewertung und EU Novel‑Food‑Katalog.
So nutzt du sie richtig (Stacking, Timing, Erwartungen)
- Creatin + Krafttraining: Stärkste Synergie. Täglich nehmen, Geduld in den ersten 2–4 Wochen. EFSA erkennt den Claim in Verbindung mit hochintensiver, wiederholter Belastung an. Mehr dazu
- CoQ10 + fetthaltige Mahlzeit: Für bessere Aufnahme. Bei Warfarin/Antihypertensiva ärztliche Begleitung. BfR‑Hinweise
- NMN/NR: Viele Nutzer wählen morgens (zirkadiane Hypothese), belastbare Daten zur Timing‑Überlegenheit fehlen.
Was nicht zu erwarten ist: Kein Supplement ersetzt Training, Schlaf und eine adäquate Protein‑/Kalorienzufuhr. Breite „Energie‑Booster“‑Versprechen sind für CoQ10 in der EU nicht zulässig; Creatin‑Kognition ist laut EFSA nicht kausal belegt. EFSA 2010, EFSA 2024
Sicherheit, Interaktionen und EU‑Regeln
- Creatin: Sicher bei Gesunden; bei Nierenerkrankung Rücksprache; gut hydrieren; Monohydrat aus Drittanbieter‑Tests bevorzugen. Nieren‑Meta‑Analyse, ISSN‑Standpunkt
- CoQ10: Mögliche Interaktionen mit Cumarin‑Antikoagulanzien; BfR empfiehlt bei >100 mg/Tag Arztkontakt; häufigste Nebenwirkungen mild‑gastrointestinal. BfR‑FAQ
- NMN: Novel‑Food‑Status ausstehend; als Nahrungsergänzungsmittel in der EU derzeit nicht zugelassen; Vorsicht bei Importen. EU‑Katalog, Verbraucherzentrale
- Doping/Kontamination: Legale Supplements können verunreinigt sein. Athleten sollten Produkte mit Zertifikaten wie „Informed Sport“ wählen und die WADA‑Liste prüfen.
Food‑first und 4‑Wochen‑Pläne
Food‑first‑Basics
- Creatin über Lebensmittel: Rotes Fleisch, Fisch. Vegetarier/Veganer profitieren oft stärker von Supplementen.
- CoQ10 über Lebensmittel: Fettfische, Innereien; bei Gesunden i. d. R. ausreichende endogene Synthese, so das BfR.
- NAD+ durch Gewohnheiten: Konstante Schlaf‑/Wachzeiten, regelmäßige Bewegung (Kraft + Intervalle), Proteinadäquanz, niacinhaltige Kost; falls Supplement: NR ist als Novel Food bewertet.
Dein 4‑Wochen‑Plan (wähle 1 Ziel)
1) Stärke/Power (auch 55+):
- Woche 1: 3×/Woche Ganzkörper‑Krafttraining; Creatin‑Monohydrat 3–5 g täglich; Körpergewicht & Kraft tracken.
- Wochen 2–4: Last steigern; Creatin täglich; Protein 1,2–1,6 g/kg/Tag sicherstellen.
2) Kardio‑/Migräne‑Fokus:
- Mit der Ärztin/dem Arzt 100–200 mg/Tag CoQ10 zu Mahlzeiten für 8–12 Wochen besprechen; Blutdruck/Migränetage protokollieren; unter Warfarin/Cumarinen nur mit medizinischer Begleitung starten. Siehe Evidenzüberblick.
3) NAD+‑Neugier/Langlebigkeit:
- 4 Wochen Fokus auf Schlafrhythmus, Bewegung (Kraft + 1–2 Intervalleinheiten/Woche), Protein und Tageslicht. Wenn Supplement, EU‑konform über NR nachdenken; NMN aktuell nicht zugelassen. Status prüfen.
Smart Shopping in Deutschland
- Achte auf: Einzelwirkstoff‑Creatin‑Monohydrat; CoQ10 mit ölbasierter Darreichung und dokumentierter Bioverfügbarkeit; NR von EU‑zugelassenen Anbietern; Zertifikate wie „Informed Sport/Choice“ bei sportnahem Einsatz.
- Meide: Proprietäre „Energy‑Blends“, nicht verifizierte NMN‑„Supplements“ mit EU‑Versand, überzogene „Anti‑Aging“‑Claims (EU‑Claimsrecht). Orientierung: EU Novel‑Food‑Katalog, EFSA zu CoQ10‑Claims.
Weitere Ideen und kuratierte Produkte findest du in unserer Longevity‑Kollektion.
- Creatin: Leistungsclaim anerkannt; 55+ mit Training: Kraftverbesserung belegt. EFSA 2011, EFSA 2016.
- CoQ10: Keine allgemeinen EFSA‑Gesundheitsclaims; BfR: keine generelle Notwendigkeit bei Gesunden. EFSA 2010, BfR‑FAQ.
- NMN: Novel Food – (Stand 10.09.2025) nicht zugelassen; Status im EU‑Katalog checken.
Hinweis: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine medizinische Beratung.