Wein vs. Nahrungsergänzungsmittel: Wie viel Resveratrol steckt wirklich drin?
Leila WehrhahnAktualisiert:TL;DR: Ein Glas Rotwein ist keine Resveratrol-Kapsel. Typische Rotweine enthalten im Mittel nur etwa 0,2–7 mg Resveratrol pro Liter – Weißwein liegt deutlich darunter. Ein 150-ml-Glas liefert damit grob 0,03–1,0 mg. Nahrungsergänzungen enthalten dagegen meist 100–500 mg Trans‑Resveratrol pro Kapsel. Um 100 mg aus Wein zu erreichen, bräuchte es – je nach Flasche – Dutzende bis Hunderte Gläser. Das ist unpraktisch und gesundheitlich problematisch. Zudem ist Alkohol ein nachweislich krebserregender Stoff, und deutsche Fachgesellschaften betonen: Es gibt keinen risikofreien Alkoholkonsum. Wenn Sie Resveratrol aus Gesundheitsgründen erwägen, setzen Sie zuerst auf polyphenolreiche Lebensmittel und – sofern passend – auf ein geprüftes Supplement mit vernünftiger Dosierung.
Was Resveratrol ist (und nicht ist)
Resveratrol gehört zu den Polyphenolen und kommt vor allem in den Schalen roter Trauben, in der Japanischen Staudenknöterichwurzel (Polygonum cuspidatum), in Erdnüssen, einigen Beeren und in Kakao vor. Biologisch relevant ist vor allem die trans-Form; die cis-Form ist weniger untersucht. Es wirkt nicht wie ein klassisches Vitamin, sondern beeinflusst Signalkaskaden: In Zell- und Tiermodellen wurden antioxidative Effekte, die Modulation von AMPK- und SIRT‑Signalwegen sowie entzündungshemmende Mechanismen beschrieben. Die direkte Aktivierung von SIRT1 bleibt wissenschaftlich umstritten; plausibel erscheint eine indirekte Beeinflussung über AMPK und cAMP‑abhängige Pfade.
Die Evidenzlage: In Zell- und Tierstudien zeigt Resveratrol wiederholt günstige Effekte auf Stoffwechsel- und Gefäßmarker. Beim Menschen sind die Ergebnisse gemischt und dosisabhängig; einzelne randomisierte Studien und Meta-Analysen berichten Verbesserungen von endothelialer Funktion (z. B. Flow‑mediated dilation), während Lipid- oder Blutzuckerwerte nicht immer konsistent profitieren. Eine lebensverlängernde Wirkung beim Menschen ist nicht belegt.
Merksatz: Resveratrol ist – wenn überhaupt – ein Baustein für Stoffwechsel- und Gefäßgesundheit, nicht die eine „Langlebigkeits-Pille“.
Vertiefende Hintergründe zu Resveratrol als Kalorienrestriktions‑Mimetikum.
Weiterführend: Überblick zu Pharmakokinetik und Wirkungen beim Menschen im Resveratrol-Dossier des Linus Pauling Institute.
Resveratrol ist ein Pflanzenstoff, der Zellwege wie AMPK beeinflusst. Beim Menschen gibt es Hinweise auf Nutzen für Gefäßfunktionen, aber keine Belege für längeres Leben.
Wie viel Resveratrol steckt im Wein? Die realistische Spanne
Die Gehalte schwanken stark – abhängig von Rebsorte (Pinot Noir/Spätburgunder liegt oft höher), Klima und UV‑Exposition, Jahrgang, Maischestandzeit, Mazeration und Lagerung. Weißwein enthält wenig, da die Schalen früh entfernt werden; Rosé liegt dazwischen. Pragmatik für Verbraucherinnen und Verbraucher:
- Rotwein: ungefähr 0,2–7 mg/L im Durchschnitt; Ausreißer können höher liegen, sind aber nicht verlässlich planbar.
- Weißwein: typischerweise 0,1–1 mg/L oder darunter.
- Alkoholfreier Rotwein: Polyphenole bleiben grundsätzlich erhalten, können durch die Entalkoholisierung aber reduziert sein; therapeutische Spiegel wie bei Supplementen sind nicht zu erwarten.
Zur Einordnung: Studien zeigen sowohl eher niedrige Werte (unter 1–2 mg/L) als auch höhere Bereiche in bestimmten Pinot‑Noir‑Weinen und Techniken – mit großer Flaschen-zu-Flaschen‑Varianz und deutlichen Abnahmen bei Lagerung und Alterung. Siehe u. a. Analysen in OENO One zu Pinot‑Noir, Daten zu niedrigen Gehalten in südspanischen Weinen (PubMed‑Studie) sowie Verluste während der Flaschenreife (Wiley‑Studie zur Lagerung).
Do‑the‑math: So viele Gläser wären nötig
Damit die Größenordnungen greifbar werden, rechnen wir in Glasgrößen à 150 ml (0,15 L):
- Typische Annahme: 2 mg/L Resveratrol im Rotwein ⇒ 0,3 mg pro Glas. 100 mg (eine häufige Kapsel) ÷ 0,3 mg ≈ 333 Gläser.
- Optimistisch (oberes Ende): 7 mg/L ⇒ ~1,05 mg pro Glas. 100 mg ÷ 1,05 mg ≈ 95 Gläser.
- Weißwein: 0,5 mg/L ⇒ ~0,075 mg pro Glas. 100 mg ÷ 0,075 mg ≈ 1.333 Gläser.
Merksatz: Selbst „best case“-Weine können eine einzige Kapsel praktisch nicht ersetzen.
Für Interessierte: Eine Risiko-Nutzen-Analyse zeigt zudem, dass die potenziellen Polyphenolvorteile im Wein die Risiken von Ethanol nicht aufwiegen (Analyse im International Journal of Cancer).
Supplements: Was steckt in der Kapsel?
- Typische Produkte: 100–500 mg Trans‑Resveratrol je Kapsel, oft aus Polygonum‑cuspidatum‑Extrakt (Japanischer Staudenknöterich).
- Reinheit: Achten Sie auf standardisierte Angabe „≥98% Trans‑Resveratrol“ und eine klare Herkunftsdeklaration.
- Darreichung: Standard, „mikronisiert“ oder „nano“ – Ziel ist bessere Aufnahme; die Evidenz ist heterogen.
- Kombis („Stacks“): Mit Quercetin oder Piperin zur Absorption – Daten gemischt; Interaktionspotenzial beachten.
- Qualität: Verlangen Sie ein Zertifikat der Analyse (COA); Tests auf Identität, Reinheit, Schwermetalle, PAH und Lösungsmittel. In der EU/Deutschland sind GMP/HACCP‑konforme Herstellung und saubere Kennzeichnung Pflicht.
Zur regulatorischen Einordnung: Die EFSA bewertete synthetisches Trans‑Resveratrol (≥99%) als neuartiges Lebensmittel bis 150 mg/Tag für Erwachsene als sicher unter den vorgeschlagenen Bedingungen (EFSA‑Gutachten).
Bioverfügbarkeit und Dosierungen mit Effekten beim Menschen
Oral eingenommenes Resveratrol wird gut aufgenommen, aber rasch metabolisiert (Glukuronidierung/Sulfatierung), was die Bioverfügbarkeit begrenzt. Beim Menschen findet man im Blut meist Konjugate; unverändertes Resveratrol bleibt niedrig. Das erklärt, warum Studien oft Dosen im Bereich von ~100–1000 mg/Tag einsetzen, wenn metabolische oder gefäßbezogene Endpunkte beeinflusst werden sollen. Eine aktuelle, placebokontrollierte Crossover‑Studie bei Typ‑2‑Diabetes und CKD zeigte z. B. unter 400 mg/Tag eine verbesserte endotheliale Funktion (Flow‑mediated dilation) ohne Änderungen klassischer Risikofaktoren (Studie 2023 | Open‑Access‑Volltext). Meta‑Analysen berichten ebenfalls Verbesserungen der FMD, während Effekte auf Blutdruck oder Lipide uneinheitlich sind (Meta‑Analyse 2022, Meta‑Analyse 2019).
- Praxis‑Tipps: Einnahme zu einer Mahlzeit mit etwas Fett kann die Verträglichkeit verbessern.
- Geteilte Gaben (z. B. 2× täglich) senken gastrointestinale Beschwerden und glätten die Plasmaspiegel.
- „Mehr“ ist nicht automatisch „besser“ – bleiben Sie in einem begründeten Bereich, der zu Zielen und Toleranz passt.
Hintergrund zur geringen Bioverfügbarkeit: schnelle Konjugation in der Leber (Glukuronidierung/Sulfatierung) und schnelle Elimination (Humanleber‑Glukuronidierung; Übersichtsabschnitt im LPI‑Dossier).
Resveratrol wird schnell umgebaut – deshalb brauchen Studien oft 100–1000 mg/Tag. Effekte sind v. a. für die Gefäßfunktion beschrieben; die Verträglichkeit steigt, wenn man mit niedrigen Dosen startet.
Sicherheit, Interaktionen und wer vorsichtig sein sollte
- Häufige Nebenwirkungen (v. a. bei hohen Dosen): Magen‑Darm‑Beschwerden, Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerzen.
- Wechselwirkungen: Vorsicht mit Antikoagulanzien/Thrombozytenaggregationshemmern (additive Effekte), antidiabetischen Medikamenten (theoretische Potenzierung) sowie potenziellen CYP‑Interaktionen (z. B. via Resveratrol‑Sulfat/CYP2C9). Eine ärztliche Prüfung ist ratsam (EFSA; LPI).
- Besondere Gruppen: Schwangerschaft/Stillzeit: vermeiden (Datenlage unzureichend). Hormonabhängige Tumorerkrankungen: nur nach Rücksprache. Nieren-/Lebererkrankungen: ärztliche Begleitung.
Wichtig zum Alkoholkontext: Alkohol ist ein Group 1‑Karzinogen. Deutsche öffentliche Empfehlungen betonen: „Es gibt keinen gesundheitlich risikofreien Alkoholkonsum“ (DGE‑Empfehlung; WHO/IARC‑Stellungnahme). Wein sollte daher nicht als „Resveratrol‑Quelle“ propagiert werden.
Resveratrol gilt in moderaten Supplementdosen als gut verträglich, kann aber Medikamente beeinflussen. Alkohol bleibt ein Krebsrisiko – Wein ist keine geeignete „Therapie“.
Wein vs. Supplement: Entscheidungsrahmen
- Wenn Sie Wein genießen: Trinken Sie gelegentlich aus Genuss, nicht als „Resveratrol‑Strategie“. Planen Sie mehrere alkoholfreie Tage pro Woche ein. Alkoholfreier Rotwein liefert Polyphenole ohne Ethanol, aber in variabler, begrenzter Menge (klinische Daten; deutsche Studie zur Entalkoholisierung).
- Ziel: Stoffwechsel/Gefäße unterstützen: Ernährungs‑First: Beeren, rote/purpur Trauben mit Schale, Erdnüsse, Kakao (dunkel, wenig Zucker), Rotkohl. Falls Supplement: mit 100–200 mg/Tag Trans‑Resveratrol starten, 4–8 Wochen beobachten, nur bei Bedarf vorsichtig steigern.
- Ziel: Langlebigkeit: Erwartungen managen: Priorisieren Sie Basisfaktoren (Schlaf, Muskelmasse, VO2max, Blutzuckerkontrolle) plus polyphenolreiche Kost; Resveratrol kann optional‑ergänzend sein. Eine kuratierte Auswahl finden Sie in unserer Longevity‑Kollektion.
Praktischer 7‑Tage‑Polyphenol‑Plan (deutsche Küche‑freundlich)
- Frühstücksanker: Haferflocken + Heidelbeeren; Quark + Himbeeren; Vollkornbrot + ungesüßte Erdnussbutter.
- Mittag/Abend: Rotkohlsalat, rote/purpur Trauben (mit Schale), bunte Bohnensalate, reichlich Kräuter/Gewürze.
- Snacks: Eine kleine Hand Erdnüsse oder Walnüsse; 1–2 Stück 85%‑Zartbitterschokolade.
- Optionales Supplement‑Timing: 100–200 mg Trans‑Resveratrol zur Hauptmahlzeit (z. B. Mittagessen); Verträglichkeit prüfen; ggf. morgens/abends splitten.
- Hydration & Alkohol: Mehrere alkoholfreie Tage pro Woche; wenn alkoholhaltig, geringe Mengen – nie aus „Health“-Motivation.
Buyer’s Checklist für Resveratrol‑Supplements
- „Trans‑Resveratrol ≥98%“ klar ausgewiesen; Herkunft Rohstoff (Knöterich oder Trauben) transparent.
- COA verfügbar; getestet auf Schwermetalle, Lösungsmittel, PAH; GMP/HACCP‑Herstellung.
- Dosisklarheit pro Kapsel; keine „Proprietary Blends“.
- Schlanke Hilfsstoffe, keine unnötigen Farbstoffe.
- Marketing‑Warnzeichen: „Wundermittel“, „entspricht 100 Gläsern Wein“, „klinisch bewiesene Lebensverlängerung“.
Mythen vs. Fakten
- Mythos: Ein Glas Rotwein = eine Resveratrol‑Kapsel. Fakt: Ein Glas enthält oft <1 mg; Kapseln liefern 100–500 mg.
- Mythos: Rotwein ist ein gesunder Weg zu Resveratrol. Fakt: Alkoholrisiken überwiegen die geringe Resveratrolmenge.
- Mythos: Resveratrol verlängert sicher das menschliche Leben. Fakt: Keine Beweise für Lebensverlängerung beim Menschen.
FAQ: Schnell und nützlich
- Ist Spätburgunder/Pinot Noir am höchsten? Häufig höher, aber die Variabilität ist enorm – Etiketten verraten keine Milligrammwerte.
- Löst alkoholfreier Rotwein das Dilemma? Er entfernt Ethanolrisiken, wird aber Supplement‑Spiegel kaum erreichen; auch Zuckergehalt und Verarbeitung zählen (klinische Daten).
- Mit Essen oder nüchtern? Eine Mahlzeit mit etwas Fett verbessert oft die Verträglichkeit; zur Resorption liegen gemischte Daten vor (LPI‑Übersicht).
- Morgens oder abends? Kein starker Humanbefund; wichtiger ist Konsequenz. Bei Magenproblemen: Dosis splitten.
- Kombinieren mit Quercetin/Piperin? Evidenz gemischt; potenzielle Interaktionen steigen – starten Sie einfach und testen Sie Ihre Reaktion.
Deutscher Kontext (wichtige Hinweise)
- Public Health: Kein risikofreier Alkoholkonsum; zur Krebsprävention gilt: „Nicht trinken ist besser“ (WHO/IARC; DGE).
- Ärztlicher Rat: Bei Medikamenteneinnahme oder Vorerkrankungen sprechen Sie mit Ihrer Hausärztin/Ihrem Hausarzt.
- Kultur: Wein als kulinarisches Erlebnis – nicht als Nahrungsergänzung.
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Bonus: Rechnen Sie selbst
Ihre Flasche gibt „x mg/L“ an oder Sie finden einen Literaturwert? So rechnen Sie auf ein 150‑ml‑Glas um:
mg pro Glas = mg pro Liter × 0,15
Beispiel: 3 mg/L ⇒ 3 × 0,15 = 0,45 mg pro Glas.
Hinweis: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine medizinische Beratung. Lassen Sie sich bei Fragen zu Einnahme, Dosierung oder Wechselwirkungen ärztlich beraten.

