Quercetin & Fisetin: Wie Senolytika alternde Zellen bekämpfen
Leila WehrhahnAktualisiert:Was wäre, wenn ein Teil des Alterungsprozesses durch “alte” Zellen getrieben würde, die nicht mehr richtig arbeiten – und ihre Umgebung mit entzündlichen Signalen belasten? Genau das beschreibt die Forschung zu zellulärer Seneszenz. “Senolytika” sind Substanzen, die einen Teil dieser gealterten Zellen gezielt entfernen sollen. Zwei natürliche Kandidaten stehen im Fokus: Quercetin (z. B. aus Zwiebeln und Äpfeln) und Fisetin (z. B. aus Erdbeeren und Persimonen). In diesem Artikel klären wir, was die Wissenschaft bislang zeigt, wie Studien dosiert haben, wo Chancen und Grenzen liegen – und was Leserinnen und Leser in Deutschland regulatorisch wissen sollten.
- TL;DR: Tierexperimente und erste kleine Humanstudien deuten darauf hin, dass Quercetin und Fisetin senolytisch wirken können; harte klinische Endpunkte beim Menschen sind jedoch noch begrenzt. Erstes-in-Mensch D+Q bei IPF; Mechanistik in DKD.
- Typisch ist ein intermittierendes „Hit-and-Run“‑Schema statt Dauereinnahme – Idee: kurz angreifen, Zellen eliminieren, Erholung abwarten. Siehe Übersicht zu Studienlogiken und Dosis‑Diskussion.
- Sicherheit, Interaktionen und EU/DE‑Regeln begrenzen gesundheitsbezogene Aussagen – sprechen Sie vor Nutzung mit Arzt/Apotheker. Orientierung bietet das BfR‑Dossier zu Nahrungsergänzungsmitteln.
Seneszenz und Senolytika
Zelluläre Seneszenz ist ein dauerhafter Wachstumsstopp als Reaktion auf Stress (z. B. DNA‑Schäden). Seneszente Zellen können eine SASP (senescence‑associated secretory phenotype) ausbilden: ein Mix aus Zytokinen, Proteasen und Wachstumsfaktoren, der Gewebe auf Dauer schädigen kann. Senolytika sind Substanzen, die Abwehrwege seneszenter Zellen kurzzeitig blockieren, sodass diese selektiv absterben; Senomorphika dämpfen hingegen die SASP, ohne Zellen zu töten. Weil sich Seneszenz schrittweise aufbaut, setzt die Forschung auf intermittierende „Hit‑and‑Run“‑Gaben, um Off‑Target‑Effekte zu minimieren und Gewebezeit zur Erholung zu geben. Weiterführende Übersicht
Zu den am meisten untersuchten senolytischen Strategien zählen: Dasatinib + Quercetin (D+Q), Fisetin sowie experimentelle Substanzen wie Navitoclax (BCL‑2/BCL‑xL‑Inhibitor; potente, aber aufgrund Thrombozytopenie wenig praktikable Option). Übersicht
Seneszenz fördert mit der SASP Entzündung und Gewebestörung. Senolytika entfernen ausgewählte gealterte Zellen, oft in kurzen Intervallen; Senomorphika bremsen nur die SASP.
Quercetin und Fisetin: Was ist das überhaupt?
Quercetin ist ein weit verbreiteter Flavonol in Zwiebeln, Äpfeln und Tee; Fisetin findet sich u. a. in Erdbeeren, Persimonen und Gurken. In Zell- und Tiermodellen zeigen beide senolytische Aktivität; in einem vielbeachteten Mausprogramm erwies sich Fisetin als besonders potent und verlängerte sowohl Median‑ als auch Maximallebensspanne und reduzierte Seneszenzmarker in mehreren Geweben. Wichtig: Lebensmittelgehalte ≠ Supplementdosen in Studien (oft im Grammbereich). Studie
Quercetin und Fisetin sind natürliche Pflanzenstoffe; in präklinischen Modellen wirken sie senolytisch. Die in Studien genutzten Dosen liegen weit über dem, was normale Ernährung liefert.
Evidenz‑Map: Was wir bislang wissen
Tier- und Ex‑vivo‑Daten
- Fisetin verlängerte in Mäusen mediane und maximale Lebensspanne, senkte Seneszenz‑/SASP‑Marker und zeigte Senolyse in Maus‑ und menschlichen Fettgewebs‑Explantaten. Studie und Grafiken.
- D+Q verbesserte in gealterten Mäusen metabolische Parameter und Entzündung im Fettgewebe; in einem 6‑Monats‑Pilot bei Nicht‑Human‑Primaten (monatlich 2 Tage D 5 mg/kg + Q 50 mg/kg) zeigten sich Signale auf Immunprofil, „Inflammaging“-Marker und Nierenparameter bei akzeptabler Sicherheit. Details
- Aber: Nicht jedes Modell profitiert. In einem akuten Nierenverletzungs‑Modell (Folsäure‑Nephropathie) war D+Q wirkungslos bzw. verschlechterte Marker – ein Hinweis auf Kontextabhängigkeit und die Bedeutung passender Indikationen/Zeitpunkte. Pharmaceuticals‑Studie 2025.
Erste Signale beim Menschen
- Idiopathische Lungenfibrose (IPF), Open‑Label‑Pilot: Intermittierend D 100 mg + Q 1.250 mg an 3 Tagen/Woche über 3 Wochen war durchführbar; funktionelle Maße (6‑Minuten‑Gehtest, Ganggeschwindigkeit, Chair‑Stands) verbesserten sich, Lungenfunktion blieb unverändert. EBioMedicine 2019.
- Diabetische Nierenerkrankung (Phase 1): 3 Tage D 100 mg + Q 1.000 mg reduzierten innerhalb von ~11 Tagen seneszente Zellen in Fett‑/Hautbiopsien und senkten SASP‑Marker – Proof‑of‑Mechanism beim Menschen. EBioMedicine 2019.
- Postmenopausale Frauen, Knochenstoffwechsel (Phase 2 RCT, 20 Wochen): Primärer Knochenresorptionsmarker unverändert; frühe, vorübergehende Zunahme eines Knochenbildungsmarkers. Explorativ profitierten v. a. Frauen mit hohem p16‑Signal. Nat Med 2024.
- Laufende Studien: D+Q bei MCI/Alzheimer, Frailty (u. a. Krebsüberlebende), NAFLD; Fisetin u. a. bei Gebrechlichkeit, Sepsis, Multimorbidität. Übersicht: Alzforum D+Q und Registereinträge (z. B. NCT04733534, NCT04313634, NCT06431932).
Bottom line: Mechanismen und Biomarker beim Menschen sind vielversprechend; für patientenrelevante Endpunkte (Frailty, Funktion, Krankheitsprogression) braucht es größere, kontrollierte Studien in definierten Populationen. Mehr dazu
Beim Menschen sehen wir bisher vor allem Wirkungen auf Biomarker und einzelne Funktionsmaße. Ob Senolytika klinische Endpunkte breit verbessern, müssen größere RCTs zeigen.
Dosierungsparadigmen aus Studien (Kontext, keine Empfehlung)
- D+Q: Häufig verwendet wurden Dasatinib 100 mg/Tag + Quercetin 1.000–1.250 mg/Tag in kurzen Zyklen, z. B. 3 Tage/Woche über 3 Wochen (IPF) oder 2 Tage alle 2 Wochen (diverse Protokolle). Protokollbeispiel
- Fisetin: Viele Protokolle setzen auf ~20 mg/kg/Tag für 2 aufeinanderfolgende Tage pro Zyklus (z. B. Tag 1–2, Wiederholung nach ~2–4 Wochen). Studienprotokoll (Frailty)
Die Logik dahinter: intermittierendes „Hit‑and‑Run“, um selektiv zu räumen und Gewebezeit zur Regeneration zu geben, statt kontinuierlich in Reparaturprozesse einzugreifen. Rationale und Designs. Wichtiger Hinweis: Dasatinib ist ein verschreibungspflichtiges Krebsmedikament (Tyrosinkinase‑Inhibitor) mit potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen – keine Selbstmedikation. EPAR Sprycel.
Bioverfügbarkeit: Warum die Formulierung zählt
Quercetin wird oral nur schlecht aufgenommen und rasch zu Glukuroniden/Sulfaten konjugiert; die Nahrungsmatrix und Formulierung verändern die Exposition stark. Klassische Human‑PK‑Arbeiten und Ernährungsstudien zeigen große Schwankungen je nach Glykosid‑Form und Fettgehalt der Mahlzeit. Übersicht
In einer Humanstudie steigerte eine Lecithin‑Phytosom‑Formulierung die Quercetin‑Exposition gegenüber unformuliertem Quercetin um das ca. 18–20‑fache (AUC/Cmax). Eine Meta‑Analyse bis 2024 bestätigt: Phytosome, Cyclodextrin‑Komplexe und selbstemulgierende Systeme können die Exposition um ein Vielfaches erhöhen; Fett im Essen verdoppelt sie im Mittel. Quercetin‑Phytosom; Systematisches Review 2024.
Fisetin zeigt ähnlich niedrige orale Bioverfügbarkeit und schnelle Metabolisierung; erste Human‑PK mit einer Hybrid‑Hydrogel‑Formulierung berichtet >20‑fach höhere Cmax/AUC vs. unformuliert. Reviews betonen, dass die optimale Darreichung klinisch noch zu klären ist. Fisetin‑PK (Hybrid‑Hydrogel); MAD‑Review 2024.
Praxisnah: Mit einer fetthaltigen Mahlzeit einnehmen; „mg auf dem Label“ spiegeln nicht automatisch die systemische Exposition wider – die Formulierung macht den Unterschied. Mehr dazu
Quercetin und Fisetin sind ohne spezielle Formulierungen schlecht bioverfügbar. Phytosome, Cyclodextrine und selbstemulgierende Systeme erhöhen messbar die Blutspiegel.
Sicherheit, Nebenwirkungen und Interaktionen
Quercetin gilt in Kurzzeitstudien meist als gut verträglich. Pharmakologisch relevant sind jedoch Transporter‑ und Enzyminteraktionen: In einer Humanstudie erhöhte Quercetin die Exposition von Pravastatin (OATP1B1‑Substrat) um ~24–31%. In vitro hemmt Quercetin u. a. OATP1A2/2B1 und BCRP; Daten zu CYP3A4 sind gemischt, weshalb bei engem therapeutischem Fenster (z. B. Immunsuppressiva, bestimmte Herz‑/Onkopharmaka) besondere Vorsicht gilt. Pravastatin‑Interaktion; OATP1A2/2B1.
Fisetin besitzt präklinisch eine gute Sicherheitsmarge; qualitativ hochwertige Human‑Langzeitdaten bei älteren, multimorbiden Patientengruppen sind aber im Aufbau. Aktuelle Übersicht.
D+Q‑Kombination: Dasatinib ist verschreibungspflichtige Onkotherapie (TKI) mit potenziell hämatologischen, hepatischen und kardiopulmonalen Nebenwirkungen; Anwendung nur unter ärztlicher Kontrolle. EPAR.
Wer sollte ohne ärztliche Begleitung verzichten? Personen mit Polypharmazie (u. a. Statine, Antikoagulanzien, Immunsuppressiva), Schwangerschaft/Stillzeit, fortgeschrittener Leber‑/Niereninsuffizienz, vor geplanter OP (mögliche Thrombozyten/Plättcheneffekte). Sprechen Sie vor Einsatz mit Arzt/Apotheker.
Quercetin kann Transporter/Enzyme beeinflussen; Fisetin‑Sicherheitsdaten beim Menschen wachsen noch. Dasatinib gehört in die Hand von Ärztinnen/Ärzten – keine Selbstmedikation.
Was Leser in Deutschland zu EU/DE‑Regeln wissen sollten
In der EU sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel, keine Arzneimittel. Für Quercetin/Fisetin sind krankheitsbezogene Gesundheitsclaims nicht zugelassen; generische Quercetin‑Claims wurden von der EFSA abgelehnt, Unternehmen müssen irreführende Aussagen vermeiden. EFSA‑Stellungnahme zu Quercetin‑Claims.
Je nach Zutat/Form kann Novel Food greifen; die Unionsliste und nationale Behörden (BVL/Länder) sind Referenz. Das BfR betont generell: keine Langzeit‑Selbstexperimente in Hochdosen ohne medizinische Begleitung.
Quercetin/Fisetin dürfen in der EU nicht mit Krankheitsversprechen beworben werden. Novel‑Food‑Status prüfen; Sicherheit und Rechtsrahmen haben Vorrang.
Praktische Takeaways
- Die Evidenz ist ermutigend, aber noch nicht endgültig; stärkste Signale sind mechanistisch/biomarkerbasiert, nicht patientenzentrierte Endpunkte.
- Startpunkt bleibt der Lebensstil: Schlaf, Krafttraining, metabolische Gesundheit, moderates Kaloriendefizit – all das senkt wahrscheinlich die Seneszenzlast.
- Bei Supplement‑Erwägung: Medikamente/Interaktionen mit Arzt/Apotheker besprechen; auf seriöse Hersteller, saubere Analytik und transparente Formulierung achten.
- Kein eigenständiger Einsatz von Dasatinib. Interessierte können passende Studien verfolgen/teilnehmen (z. B. MCI/Frailty‑Protokolle bis 2026–2027).
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FAQs
Ist die Aufnahme über Lebensmittel senolytisch ausreichend?
Unwahrscheinlich. Die in Studien eingesetzten Dosen liegen weit über typischen Ernährungsaufnahmen. Mehr dazu
„Senolytic‑Weekend“: Ist intermittierende Einnahme außerhalb von Studien sinnvoll?
Die intermittierende Logik stammt aus präklinischen Daten und frühen Studien – ob, wie oft und für wen das außerhalb klinischer Forschung sinnvoll ist, ist nicht belegt. Hintergrund
Quercetin vs. Fisetin – was ist „besser“?
Kontextabhängig. Fisetin wirkt in manchen Modellen stärker; D+Q hat die meiste Human‑Mechanistik. Harte Vergleichsdaten am Menschen fehlen. Überblick
Kann ich mit anderen Longevity‑Stacks kombinieren (z. B. Metformin, Rapamycin, Resveratrol)? Und mit Statinen/Antikoagulanzien?
Vorsicht: Quercetin interagiert mit Transportern/Enzymen; bei Statinen/Antikoagulanzien drohen Spiegelveränderungen. Kombinationen nur ärztlich begleitet. Hinweise
Wie lange dauert es, bis es eindeutige Human‑Daten gibt?
Mehrere RCTs laufen bis Mitte/Ende 2026–2027 (z. B. MCI/Frailty). Erst dann ist mit klareren, patientenzentrierten Ergebnissen zu rechnen. Beispielstudie
Transparenz, Ton und Hinweis
Dieser Artikel setzt bewusst auf präzise, nicht‑versprechende Sprache („kann“, „vorläufige Hinweise“, „kleine Studien“) und respektiert deutsche/ EU‑Leitplanken zu Health Claims. Er ersetzt keine medizinische Beratung. Wer sich für Senolytika interessiert, sollte klinische Studien in Erwägung ziehen und medizinischen Rat einholen.