Quercetin auf dem Prüfstand: Klinische Studien zu seinen senolytischen Effekten
Leila WehrhahnAktualisiert:Quercetin wird in der Langlebigkeitsforschung häufig als Bestandteil sogenannter Senolytika genannt. In der klinischen Praxis liegen die meisten Daten aus kleinen, frühen Studien zur Kombination aus Dasatinib + Quercetin (D+Q) vor. Die Evidenz ist gemischt: frühe Signale bei bestimmten Patientengruppen und Biomarkern, aber bislang wenige größere, placebokontrollierte Studien mit harten klinischen Endpunkten.
- Die meisten Humanstudien zur Senolyse prüfen die intermittierende Kombination D+Q; frühe Studien zeigen Machbarkeit und ein akzeptables Sicherheitsprofil, Effektivität ist uneinheitlich; größere RCTs sind bislang spärlich. Erste-in-Mensch-Studie bei IPF.
- Eine Phase‑2‑RCT bei postmenopausalen Frauen verfehlte den primären Endpunkt insgesamt; exploratorisch profitierten Frauen mit hoher p16‑Belastung – die Auswahl „wer anspricht“ könnte entscheidend sein. Nat Med 2024.
- Im frühen Alzheimer-Stadium war Dasatinib im Liquor messbar, Quercetin nicht; die 12‑Wochen‑Pilotbehandlung war machbar/sicher, ohne kognitive Vorteile. Phase‑1‑Pilot.
- Kleine Piloten bei idiopathischer Lungenfibrose (IPF) und diabetischer Nierenerkrankung (DKD) deuten auf funktionelle Verbesserungen (IPF, offen) bzw. verringerte Seneszenzmarker (DKD) hin. IPF 2019; DKD 2019.
- In Deutschland/EU ist Quercetin ein Nahrungsergänzungsmittel ohne zugelassene Senolytik-Health-Claims; Dasatinib ist verschreibungspflichtig und gehört in ärztliche Hand. EFSA-Bewertung, BfR‑Hinweise.
Was „Senolytikum“ bedeutet – und wo Quercetin einzuordnen ist
Zelluläre Seneszenz bezeichnet einen dauerhaften Wachstumsstopp von Zellen nach Stress oder Schäden. Diese Zellen bleiben metabolisch aktiv und setzen ein entzündungsförderndes Sekretom frei, die sogenannte SASP (senescence‑associated secretory phenotype). Senolytika sind Wirkstoffe, die seneszente Zellen selektiv eliminieren („abräumen“), während Senomorphika die SASP dämpfen, ohne die Zellen zu töten. Quercetin ist ein pflanzlicher Flavonol aus Zwiebeln, Äpfeln oder Kapern. In vitro zeigt Quercetin je nach Zelltyp uneinheitliche senolytische Effekte; in Humanstudien kommt Quercetin meist in Kombination mit dem Tyrosinkinase‑Inhibitor Dasatinib (D+Q) zum Einsatz. Das Konzept folgt einer „Hit‑and‑Run“-Logik: Seneszente Zellen benötigen Wochen zur Reakkumulation, daher werden kurze Zyklen mit therapiefreien Intervallen erprobt.
Für die Einordnung: „zelluläre Seneszenz“ (zelluläre Seneszenz), „Senolytika“ (ablativer Ansatz), „Senomorphika“ (SASP‑Modulation). Reviews und präklinische Daten untermauern das rationale Targeting von SCAP‑Signalwegen (senescent cell anti‑apoptotic pathways), u. a. Tyrosinkinasen, PI3K/AKT und BCL‑2‑Familie. Quelle: Übersichtsartikel.
Senolytika zielen darauf, „gealterte“ Zellen selektiv zu entfernen. Quercetin wirkt in Menschen überwiegend in Kombination mit Dasatinib; kurze, intermittierende Zyklen sind üblich.
Die Humanstudien – Studie für Studie
Idiopathische Lungenfibrose (IPF)
2019: Erste‑in‑Mensch, offen (n=14) – Regime: Dasatinib 100 mg/Tag + Quercetin 1.250 mg/Tag, an 3 aufeinanderfolgenden Tagen pro Woche über 3 Wochen. Ergebnisse: signifikante Verbesserungen bei 6‑Minuten‑Gehtest, Ganggeschwindigkeit und Chair‑Stands; Lungenfunktion unverändert; Nebenwirkungen überwiegend mild bis moderat; Interpretation durch fehlende Kontrollgruppe limitiert. Quelle: EBioMedicine 2019.
2023: Randomisierte, einfach verblindete, placebokontrollierte Pilotstudie (n=12) – gleiche 3‑Wochen‑Intervalltherapie, primär auf Machbarkeit/Sicherheit ausgelegt. Keine schwerwiegenden arzneimittelbezogenen UAW; Schlafstörungen/Angst häufiger unter D+Q. Diente der Planung größerer Wirksamkeitsstudien. Quelle: EBioMedicine 2023.
Diabetische Nierenerkrankung (DKD)
2019: Offen, Phase 1 (n=9) – Ein einzelner 3‑Tage‑Zyklus D 100 mg + Q 1.000 mg. 11 Tage später zeigten Fettgewebe‑ und Hautbiopsien eine Abnahme seneszenter Zellmarker (p16/p21, SA‑β‑Gal) und zirkulierender SASP‑Faktoren (z. B. IL‑6, MMP‑9/‑12). Klinische Endpunkte wurden nicht erhoben. Quelle: EBioMedicine 2019.
Frühe Alzheimer‑Erkrankung (AD)
2023: Phase 1‑Machbarkeitsstudie (n=5; 12 Wochen) – D und Q im Plasma nachweisbar; im Liquor (CSF) war Dasatinib detektierbar (4/5), Quercetin nicht. Behandlung war machbar und sicher; keine signifikanten Veränderungen kognitiver oder bildgebender Endpunkte. Quelle: Nat Med 2023.
2025: eBioMedicine‑Pilot bei älteren Erwachsenen mit slow gait + MCI (n=12; 12 Wochen, 2 Tage alle 2 Wochen) – Intermittierende D+Q‑Gabe war machbar/sicher. Exploratorisch verbesserten sich MoCA‑Scores besonders bei den Teilnehmern mit niedrigstem Ausgangsniveau; kein Kontrollarm. Quelle: eBioMedicine 2025.
Knochenstoffwechsel (postmenopausale Frauen)
2024: Phase‑2‑RCT (n=60; 20 Wochen) – Intermittierendes D+Q reduzierte den primären Endpunkt (CTx, Knochenresorption) vs. Kontrolle insgesamt nicht. Sekundärmarker (P1NP, Knochenbildung) waren bei 2–4 Wochen erhöht; in exploratorischen Analysen zeigten Frauen mit hoher T‑Zell‑p16‑Belastung günstigere Biomarker‑ und Radius‑BMD‑Veränderungen. Implikation: Der Responder‑Status hängt womöglich vom basalen Seneszenz‑Load ab. Quelle: Nat Med 2024.
Weitere/laufende Studien
- NAFLD mit Fibrose (Niederlande; rekrutierend): D+Q gegen Leberfibrose‑Endpunkte, doppelblind. Trial‑Info: NCT05506488.
- Kindheitskrebs‑Überlebende mit Gebrechlichkeit (St. Jude; offene Arme D+Q vs. Fisetin): Fokus auf Funktion und p16. Studienseite: SENSURV.
- Psychische Störungen und beschleunigte Alterung: veröffentlichtes Protokoll (Machbarkeit/Sicherheit). Quelle: F1000Research 2024/2025.
Klinisch gibt es mehrere kleine, oft frühe D+Q‑Studien: Signale bei Funktion (IPF), Biomarkern (DKD) und in Subgruppen (Knochen), aber bislang kaum große, placebokontrollierte Wirksamkeitsdaten.
Dosis‑Muster in Studien (praktischer Überblick)
- „3 Tage/Woche über 3 Wochen“ (IPF‑Piloten). Quelle: EBioMedicine 2019.
- „2 Tage alle 2 Wochen über 12 Wochen“ (ältere Erwachsene mit AD‑Risiko). Quelle: eBioMedicine 2025.
- „Einmaliger 3‑Tage‑Kurs“ (DKD‑Biomarker). Quelle: EBioMedicine 2019.
Wichtig: Diese Schemata sind experimentell, wurden unter Studienaufsicht verabreicht und sind keine DIY‑Empfehlungen.
Welches Signal ergibt sich über alle Studien?
Sicherheit/Machbarkeit: Insgesamt akzeptabel in kleinen, eng überwachten Kohorten; dasatinibtypische Nebenwirkungen (z. B. Ödeme, Blutbildveränderungen, QT‑Risiko) sind kurzfristig beherrschbar; längere und größere Studien sind nötig. Quelle: EBioMedicine 2023.
Wirksamkeit: Funktionelle Endpunkte: Die offene IPF‑Pilotstudie zeigte Verbesserungen, die kontrollierte Mini‑RCT legte primär Machbarkeit dar. Biomarker: In DKD wurden Seneszenz‑Marker und SASP‑Faktoren nach D+Q reduziert; in der Knochen‑RCT sprechen explorative Daten für Nutzen bei hoher p16‑Last. ZNS‑Penetranz: Dasatinib gelangt ins CSF, Quercetin war in der AD‑Pilotstudie nicht messbar – die klinische Bedeutung ist offen. Quelle: IPF 2019 (PubMed).
Bottom line: Vielversprechende „Target Engagement“‑Signale und Machbarkeit, aber heterogene Wirksamkeit. Entscheidend könnte die Patientenselektion (z. B. p16‑Belastung) und die Wahl klinisch relevanter Endpunkte sein. Quelle: Nat Med 2024.
D+Q scheint sein Ziel (seneszente Zellen) in Menschen zu treffen und ist kurzzeitig gut handhabbar. Wer profitiert, ist noch unklar; Biomarker‑Stratifizierung gewinnt an Bedeutung.
Wie steht es um Quercetin als Monotherapie?
Die humanen Hinweise für eine „senolytische“ Wirkung von Quercetin allein sind derzeit schwach und uneinheitlich. Die meisten positiven Human‑Signale stammen aus der Kombination D+Q. In Zell‑ und Gewebemodellen variiert die Empfindlichkeit stark – so zeigte sich in erwachsenen humanen Endothelzellen kein senolytischer Effekt von Quercetin allein. Quelle: PubMed.
Quercetin solo ist als Senolytikum beim Menschen nicht belegt. Die Kombination mit Dasatinib liefert bislang die robusteren Signale.
Pharmakokinetik und Bioverfügbarkeit (praktisch, kurz)
Quercetin weist in Standardformen eine geringe orale Bioverfügbarkeit auf; Formulierungen wie Phytosome oder selbst‑emulgierende Hydrogele erhöhen Plasmaspiegel teils deutlich. Ob höhere Spiegel die Senolyse beim Menschen verbessern, ist unbelegt. In der AD‑Pilotstudie war Quercetin im Liquor nicht nachweisbar, Dasatinib hingegen schon – das könnte zu gemischten ZNS‑Effekten beitragen. Quellen: Riva et al. (Phytosome); ACS Omega‑PK‑Studie; AD‑Pilot.
Formulierung ist entscheidend für Quercetin‑Spiegel. Ein Nutzen höherer Spiegel für Senolyse ist bislang nicht gezeigt.
Sicherheit, Wechselwirkungen und „Bitte nicht nachmachen“ (Deutschland‑Kontext)
Dasatinib ist ein verschreibungspflichtiger Tyrosinkinase‑Inhibitor mit potenziell ernsten UAW (Myelosuppression, Blutungsrisiko, Ödeme, QT‑Verlängerung). Off‑Label‑Anwendung gehört ausschließlich in klinische Studien oder spezialisierte ärztliche Betreuung. Deutsche Apotheken kennzeichnen Sprycel (Dasatinib) als rezeptpflichtig. Beispiel: DocMorris.
Quercetin kann Cytochrom‑P450‑Enzyme und Transporter hemmen (z. B. CYP3A4, CYP2C19; OATP/BCRP), was Spiegel von Statinen, Antikoagulanzien, Immunsuppressiva oder bestimmten Chemotherapeutika beeinflussen könnte (klinische Relevanz je nach Präparat). Sprechen Sie bei Dauermedikation ärztlich ab. Quelle: Nutrients‑Review 2020. Zusätzliche Hinweise zu möglichen Wechselwirkungen mit Antibiotika und Blutverdünnern finden Sie im Beitrag Quercetin: Wechselwirkungen mit Antibiotika und Blutverdünnern.
Regulatorik (DE/EU): Quercetin wird als Nahrungsergänzungsmittel verkauft und darf keine Krankheits‑ oder Senolytik‑Claims führen. Die EFSA hat einschlägige gesundheitsbezogene Angaben nicht autorisiert. Das BfR betont die potenziellen Risiken und Interaktionen von Nahrungsergänzungen und empfiehlt ärztliche Rücksprache. Quellen: EFSA‑Gutachten, BfR‑Seite.
Praxis‑Takeaways für Leserinnen und Leser
- Interesse an Senolytik‑Studien? Ziehen Sie eine Teilnahme an registrierten Studien in Betracht (z. B. laufend zu NAFLD‑Fibrose oder Stratifizierung nach p16). Startpunkte: NAFLD‑Studie (TRUTH), p16‑Stratifizierung in RCT.
- Produkte‑Übersicht: Eine kuratierte Auswahl an Longevity‑Produkten finden Sie in unserer Longevity‑Kollektion.
- Wenn Sie Quercetin generell nutzen: Es ist nicht für Senolyse zugelassen. Achten Sie auf seriöse Herstellerqualität und prüfen Sie mögliche Interaktionen mit Ihrer Medikation. Orientierung bietet das BfR.
- Während die Evidenz reift: Setzen Sie auf Lebensstil‑Hebel, die „Seneszenz‑Druck“ mindern: Kraft‑ und Ausdauertraining, Schlaf, Gewichts‑ und Blutzuckermanagement, ballaststoffreiche Kost. Das sind bewährte, risikoarme Maßnahmen für gesundes Altern.
Worauf 2025–2027 zu achten ist
- Ergebnisse der NAFLD‑Fibrose‑Studie (D+Q), der Gebrechlichkeits‑Studie bei Krebsüberlebenden (D+Q vs. Fisetin) und des Pilotprojekts zu beschleunigter Alterung bei psychischen Störungen.
- Wichtig werden: randomisierte Designs mit klinischen Endpunkten, Stratifizierung nach Seneszenz‑Last (z. B. p16) und längere Nachbeobachtung zur Dauerhaftigkeit und Sicherheit.
FAQ kurz & knapp
- Ist Quercetin ein bewiesenes Senolytikum beim Menschen? Als Monotherapie: nein. Die beste Human‑Evidenz bezieht sich auf D+Q, und auch hier ist die Wirksamkeit für „allgemeines Altern“ nicht belegt. Quelle: DKD‑Pilot.
- Welche Dosierungen nutzen Studien? Unterschiedlich; vgl. oben „Dosis‑Muster“. Das sind Studienprotokolle, keine Selbst‑Anwendungsempfehlungen. Quelle: IPF 2019.
- Erreicht Quercetin das Gehirn? In einer 12‑Wochen‑AD‑Pilotstudie war Quercetin im Liquor nicht nachweisbar; Dasatinib schon. Quelle: Nat Med 2023.
„Frühe D+Q‑Studien zeigen Zielerreichung und Machbarkeit. Bevor Senolytika über Studien hinaus empfohlen werden können, brauchen wir größere, stratifizierte RCTs mit klinisch harten Endpunkten.“