Zukunft der NAD+-Forschung: Was kommt nach NMN? Nächste Wirkstoffgenerationen im Fokus
Leila WehrhahnAktualisiert:Wenn NMN das Thema NAD+ in die breite Öffentlichkeit gebracht hat – was wird die NAD+-Forschung in den nächsten Jahren wirklich voranbringen? Potentere Vorstufen, clevere Enzym-Ziele oder ganz neue Zustellungssysteme? Hier erfahren Sie, was die Wissenschaft für die nächsten 2–5 Jahre erwarten lässt – und was in der EU heute realistisch ist.
TL;DR: In klinischen Studien erhöhen NMN und NR zuverlässig NAD+ im Blut; die bisher gemessenen funktionellen Effekte sind jedoch meist moderat. Die nächste Welle adressiert die Ursachen des NAD+-Verlusts (z. B. CD38, SARM1), kurbelt die Eigenproduktion an (NAMPT, de‑novo‑Pfad via ACMSD) und erforscht „reduzierte“ Vorstufen wie NRH oder NMNH – überwiegend noch präklinisch. In der EU ist NR zugelassen, NMN nicht. Lebensstilhebel wie Bewegung, guter Schlaf und Rhythmuspflege unterstützen NAD+ heute zuverlässig. Zur Meta‑Analyse zu NMN‑Outcomes
Wo wir heute stehen: NAD+ und NMN in der Praxis
NAD+ in einem Absatz: Der Körper baut NAD+ über drei Hauptwege auf: den Salvage‑Pfad (Recycling von Nicotinamid/NAM über NAMPT → NMN → NAD+), den Preiss‑Handler‑Pfad (aus Nicotinsäure/NA) und den de‑novo‑Pfad (aus Tryptophan, u. a. reguliert durch ACMSD). NAD+ wird von Sirtuinen, PARPs, CD38 und SARM1 verbraucht – Enzyme, die mit Alterung, Entzündung oder neuronaler Belastung aktiver werden. Eine aktuelle Übersichtsarbeit ordnet diese Biologie und die klinischen Fragen dahinter ein. Zur Übersicht zu NAD+-Stoffwechsel und offenen Fragen
NAD+ lässt sich über mehrere Wege aufbauen und wird von verschiedenen Enzymen verbraucht. Viele „Longevity“-Effekte zielen darauf, das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Was humane Studien bisher zeigen:
- NMN erhöht Blut‑NAD+; funktionelle Signale (z. B. Gehgeschwindigkeit, Schlafqualität) sind in kleineren RCTs vorhanden, metabolische Marker bleiben in Meta‑Analysen oft unverändert; Sicherheit über 8–12 Wochen ist insgesamt gut. Randomisierte Studie zu NMN bei Älteren • Systematische Übersicht/Meta‑Analyse zu Glukose‑/Lipidmarkern
- NR steigert NAD+ in Blut und Gewebe und zeigt frühe Signale in neurologischen Kohorten; die Sicherheit gilt als gut. NAAD dient in Studien als besonders sensibler Biomarker für eine aktivierte NAD+-Metabolik. Klinisch‑translationaler NR‑Nachweis inkl. NAAD‑Biomarker • NR und neuronale EV‑Biomarker • NAD+‑Anstieg im menschlichen Gehirn (MRS)
Eine detaillierte Übersicht zur NMN‑Dosierung in Studien und praxisnahe Einordnung finden Sie in unserem Beitrag: NMN‑Dosierung & Studien.
NMN und NR erhöhen NAD+ beim Menschen. Klinische Vorteile sind bislang punktuell, aber nicht breit belegt. Die Verträglichkeit ist in Studien gut.
Regulatorischer Überblick (Stand: 11. September 2025):
- NR (Nicotinamid‑Ribosid‑Chlorid) ist als Novel Food zugelassen – mit definierten Einsatzmengen (bis 300 mg/Tag für Erwachsene; 230 mg/Tag in Schwangerschaft/Stillzeit). Der Zeitraum des Dateneigentums endete am 20. Februar 2025. EFSA‑Sicherheitsbewertung zu NR • Durchführungsverordnung inkl. Enddatum Dateneigentum
- NMN ist in der EU nicht als Novel Food zugelassen und darf nicht als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden; deutsche Verbraucherstellen raten zur Vorsicht. Hinweis der Verbraucherzentrale NRW zu NAD/NMN
Warum „nach NMN“? Offene Hürden betreffen die zielgerichtete Gewebe‑Versorgung, die Umwandlung außerhalb der Zelle (z. B. NMN → NR über CD73) und den enzymgetriebenen NAD+-Verlust (u. a. CD38) inklusive tagesrhythmischer Schwankungen. Rolle von CD73/CD38 bei der extrazellulären Vorstufen‑Umwandlung
Die wissenschaftlichen „Bottlenecks“
Mehr Verbrauch im Alter: CD38 (wichtige NADase) nimmt mit Alter/Entzündung zu; PARPs werden bei DNA‑Stress überaktiv; SARM1 treibt in Neuronen den axonalen NAD+-Abbau. CD38 & altersassoziierter NAD‑Rückgang • SARM1‑abhängige axonale Degeneration
Aufnahme & Umwandlung: Ob NMN direkt transportiert wird, ist gewebs‑ und zustandsabhängig (Slc12a8 in Mausdarm); zusätzlich wird NMN außerhalb der Zelle teils zu NR dephosphoryliert (CD73), das dann in die Zelle gelangt. Kontext zählt – Enzymmilieu und Zielgewebe bestimmen, welche Vorstufe praktisch überlegen ist. Slc12a8 als NMN‑Transporter (Maus) • CD73‑vermittelte NMN→NR‑Konversion • Endothelfunktion via extrazellulärer Umwandlung
NAD+-„Lecks“ (z. B. CD38) und die extrazelluläre Umwandlung von Vorstufen bestimmen, wie viel NAD+ am Ende in den Zellen ankommt.
Messen ist schwierig: NAAD ist ein sehr sensibler Marker für aktivierte NAD+-Pfadways in Studien; viele NAD+-Bluttests für Konsumenten sind methodisch uneinheitlich. NAAD als sensitiver Biomarker
Nächste Generation von Vorstufen: jenseits von NMN
Reduzierte Vorstufen (vielversprechend, aber früh):
- NRH (Dihydronicotinamid‑Ribosid) erhöht NAD+ in Zellen und in Mäusen sehr stark, nutzt einen ADK‑gekoppelten Pfad; Human‑Outcomes fehlen, Formulierungs‑/Stabilitätsfragen stehen aus. NRH – potente NAD+‑Steigerung • Orale Bioverfügbarkeit und alternativer Pfad
- NMNH (reduziertes NMN) boostet NAD+ schnell, beeinflusst Glykolyse/TCA in Zellen; Sicherheit/Übertragbarkeit unklar. NMNH in Zellen und Maus • Metabolomik‑Effekte von NMNH
- NARH+NR können synergistisch wirken, u. a. über die in‑situ‑Bildung von NRH (präklinisch). Synergie NARH+NR → NRH
Hinweis für Deutschland/EU: Diese Moleküle sind Forschungsstadium. Weder Wirksamkeit am Menschen noch EU‑Verfügbarkeit sind belegt oder absehbar.
„Reduzierte“ Vorstufen wirken im Labor stark, sind aber noch nicht für den menschlichen Einsatz bewertet – Vorsicht vor verfrühten Schlüssen.
Die „Lecks“ schließen: Enzymhemmung zum NAD+-Erhalt
CD38‑Hemmung: Der kleine Wirkstoff 78c kehrte in alten Mäusen NAD+-Rückgänge und funktionelle Defizite teils um; die Rolle von CD38 im Immunsystem und die Übertragbarkeit auf Menschen erfordern jedoch Vorsicht. Pflanzliche Flavonoide wie Apigenin hemmen CD38 in Modellen, sind aber keine validierte NAD+‑Therapie beim Menschen. 78c in alternden Mäusen • Apigenin hemmt CD38 in Zellen • Apigenin – Überblick mit Schlaf/Alterungs‑Bezug
SARM1‑Hemmung (Neuroprotektion): Potente kleine Moleküle (z. B. DSRM‑3716) blockieren die SARM1‑NADase und schützen Axone in Maus‑ und humanen Neuronenmodellen; Programme wie ASHA‑624 bewegen sich präklinisch in Richtung Erstanwendung. SARM1‑Inhibitoren in Neuronenmodellen • ASHA‑624 Fördermeldung
PARP‑Überaktivierung: In Krankheitszuständen kann PARP NAD+ übermäßig verbrauchen; eine generelle PARP‑Blockade als „Longevity‑Supplement“ ist wegen DNA‑Reparatur‑Trade‑offs nicht ratsam.
Mehr NAD+ von innen: NAMPT & de‑novo‑Pfad
NAMPT‑Aktivierung: Der Small‑Molecule‑Aktivator SBI‑797812 steigert NAMPT‑Aktivität und erhöht NAD+ in Zellen/Mausgewebe – ein spannendes Konzept, aber klinisch für Altern/Prävention noch offen; NAMPT ist onkologisch komplex. NAMPT‑Aktivator SBI‑797812
De‑novo‑Pfad via ACMSD: ACMSD‑Inhibitoren (z. B. TES‑1025) erhöhen NAD+ über den Tryptophan‑Weg und zeigten Organ‑Schutzsignale (Leber/Niere) und mitochondriale Vorteile in präklinischen Modellen; die gewebsbegrenzte ACMSD‑Expression könnte Nebenwirkungen reduzieren. ACMSD‑Hemmung und Organ‑Schutz
Statt nur Vorstufen zuzuführen, lassen sich „Produktionswerke“ (NAMPT, ACMSD) ankurbeln – bislang aber vor allem in Tier‑/Zellmodellen.
Smarter liefern: Vesikel, Timing, Targeting
eNAMPT in extrazellulären Vesikeln (EVs): In Mäusen steigert EV‑eNAMPT aus jungen Spendern die Gewebe‑NAD+‑Spiegel und verlängert die mediane Lebensdauer von Weibchen; beim Menschen ist das Therapieprinzip noch Forschung. Bewegung erhöht beim Menschen die Freisetzung von EV‑eNAMPT – vermutlich ein natürlicher NAD+‑Hebel. EV‑eNAMPT & Lebensspanne in Mäusen • Bewegung ↑ EV‑eNAMPT beim Menschen
Chronobiologie zählt: NAMPT und NAD+ oszillieren tagesrhythmisch; Einnahmezeitpunkte und Verhaltensrhythmus könnten Effekte optimieren – ein plausibler, aber noch hypothesengetriebener Ansatz. Uhr‑gesteuerte NAMPT/NAD+‑Oszillation
Sicherheit, Mythen und die Krebsfrage
Krebs & NAD+: Tumoren sind NAD+‑hungrig; die Onkologie nutzt NAMPT‑Inhibitoren sogar, um Tumorzellen zu „verhungern“ zu lassen. Für Menschen mit aktiver Krebserkrankung gilt: ohne onkologische Rücksprache keine NAD+‑Booster. Gleichzeitig deuten präklinische Daten auf kontextabhängige Effekte hin – eine pauschale Panik ist nicht angebracht, belastbare Human‑Daten fehlen aber.
Methylierung & Homocystein: Hohe Dosen von NAM/NR steigern erwartungsgemäß methylierte Abbauprodukte (MeNAM, Me‑2PY, Me‑4PY). Einzelne Studien berichten leichte Homocystein‑Anstiege, andere nicht; gravierende DNA‑Methylierungsstörungen sind bisher nicht belegt. Wer hohe Dosen nutzt, sollte auf eine ausreichende B‑Vitamin‑Versorgung achten. NR‑Metaboliten (MeNAM/2PY/4PY, NAAD) • NR‑SAFE: Homocystein unter Hochdosis‑NR
Keine Selbstmedikation bei aktiver Krebserkrankung. Bei hohen Dosen an B‑Vitamine denken; starke Sicherheitsprobleme sind in Studien bislang selten.
Was Sie in Deutschland jetzt tun können
Wenn Sie supplementieren: EU‑rechtlich zulässig sind Niacin (Nicotinsäure), Nicotinamid (NAM) und NR (Novel Food; bitte Etikett‑Dosen einhalten). NMN ist als Nahrungsergänzung in der EU nicht zugelassen; vom Kauf im EU‑Einzelhandel ist abzuraten, Import auf eigene Verantwortung ist rechtlich heikel. Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt bei Glaukom, Gicht, aktiver Krebserkrankung, in Schwangerschaft/Stillzeit oder bei Polypharmazie. EFSA‑Einstufung zu NR • Verbraucherhinweis zu NMN
Eine kuratierte Auswahl rechtskonformer Produkte finden Sie in unserer Longevity‑Kollektion.
Hebel mit bester Evidenz und geringem Risiko:
- Bewegung: Ausdauer‑ und gemischtes Training erhöhen Muskel‑NAMPT konsistent – ein natürlicher Weg zu mehr NAD+. Meta‑Analyse: Training ↑ NAMPT
- Schlaf & Rhythmus: Konstante Schlafzeiten, Morgenlicht, tageslicht‑orientierte Essfenster können NAD+‑Rhythmen unterstützen. NAMPT/NAD+ und innere Uhr
- Entzündungsmanagement: Metabolisches Risiko senken, Alkohol im Zaum halten, vollwertige Kost mit Tryptophan, Niacin und Polyphenolen.
- Flavonoid‑reich essen: Petersilie, Sellerie, Kamille (Apigenin) sind sinnvoll für die Allgemeingesundheit – aber nicht als „NAD+‑Therapie“ framen. Apigenin‑Übersicht
Testen: NAD+‑Metabolomik ist primär Forschungswerkzeug; NAAD ist in Studien nützlich, als Routinetest aber nicht etabliert. NAAD als Studien‑Biomarker
EU‑Status auf einen Blick (Update: 11.09.2025)
- NR (Chlorid): Novel Food, bis 300 mg/Tag (Erwachsene), 230 mg/Tag (Schwangere/Stillende). Dateneigentum endete am 20.02.2025. Rechtsakt mit Einsatzmengen
- NMN: Kein zugelassenes Novel Food → nicht verkehrsfähig als Nahrungsergänzung in der EU. Einschätzung der Verbraucherzentrale NRW
Warum reduzierte Vorstufen Forscher begeistern – und warum das nicht heißt „jetzt einnehmen“
NRH/NMNH erzeugen im Labor rasche, hohe NAD+‑Anstiege über alternative Pfade. Es fehlen aber Human‑Daten, Stabilitäts‑ und Sicherheitsbewertungen sowie EU‑Zulassungswege.
Mythos vs. Fakt: Muss NMN zuerst zu NR werden?
Fakt: Beides kommt vor – je nach Gewebe/Enzymmilieu. CD73 kann NMN außerhalb der Zelle zu NR dephosphorylieren; in Mäusen gibt es Hinweise auf NMN‑Transport (Slc12a8) im Darm. CD73‑Konversion • Slc12a8 (Maus)
Der 2–5‑Jahres‑Horizont: Was realistisch ist
Frühe klinische Erkundung ist voraussichtlich bei SARM1‑Inhibitoren (Neuro/Retina) zu erwarten; außerhalb der Onkologie könnten CD38‑Inhibitoren erste Sicherheitsstudien sehen. NAMPT‑Aktivatoren und ACMSD‑Inhibitoren könnten in Erstanwendungen gehen. Reduzierte Vorstufen (NRH/NMNH) brauchen erst Formulierungs‑, Stabilitäts‑ und Sicherheits‑„Hausaufgaben“, bevor EU‑Wege denkbar sind. SARM1‑Inhibitoren (präklinisch) • CD38‑Hemmung in Mäusen • ACMSD‑Inhibition • NAMPT‑Aktivator
Die Zukunft verschiebt sich von „mehr Vorstufe“ hin zu „Lecks schließen, Timing optimieren, gezielt zustellen“. Bis klinische Daten vorliegen, bleiben Lebensstil und zugelassenes NR die pragmatischsten Optionen.
Fazit
Die NAD+-Forschung entwickelt sich von der reinen Vorstufengabe hin zu Systemstrategien: Verbrauch begrenzen (CD38, SARM1), Eigenproduktion ankurbeln (NAMPT, de‑novo‑Pfad) und Zustellung/Timing verbessern. Für Deutschland gilt bis dahin: Wer supplementieren möchte, bleibt bei EU‑legalem NR in etikettierten Dosen – und setzt vor allem auf starke Alltagshebel wie Bewegung, Schlafrhythmus und Entzündungsmanagement. Diese Faktoren erhöhen NAMPT und unterstützen NAD+ heute – ganz ohne regulatorische Grauzonen. Hintergrund zur NR‑Sicherheit
Hinweis/Disclaimer: Dieser Beitrag dient der Information und ersetzt keine medizinische Beratung. Genannte Wirkstoffe, Enzyminhibitoren und „reduzierte“ Vorstufen sind Forschungsgegenstand und in der EU nicht zur Anti‑Aging‑Therapie zugelassen. Vor Beginn einer Supplementierung ärztlich beraten lassen – insbesondere bei Krebs, Glaukom, Gicht, in Schwangerschaft/Stillzeit oder bei Einnahme mehrerer Medikamente.