Kreatin im Faktencheck: Nebenwirkungen und Mythen – Nieren, Blähungen, Dehydrierung
Leila WehrhahnAktualisiert:Creatin ist eines der am besten erforschten Nahrungsergänzungsmittel überhaupt – und doch kursieren hartnäckige Missverständnisse. Vor allem drei Sorgen tauchen immer wieder auf: mögliche Nierenschäden, „Bloating“ (Aufgeblähtsein) und Dehydration/Krämpfe. In diesem Leitfaden trennen wir Mythen von Fakten, zeigen, wie Sie Nebenwirkungen minimieren, und geben praxisnahe Dosierempfehlungen für gesundheits- und leistungsorientierte Leserinnen und Leser in Deutschland (30–70+). Jahrzehnte an Studien und Positionspapieren belegen: Bei korrekter Anwendung ist Creatin wirksam und sicher. (Quelle: PMC)
Was Creatin eigentlich macht – und warum das für gesundes Altern zählt
Creatin erhöht in der Muskulatur den Phosphocreatin‑Speicher. Dadurch steht in kurzzeitigen, intensiven Belastungen schneller ATP zur Verfügung – Leistungsspitzen werden stabiler, und die Qualität des Kraft- oder Intervalltrainings verbessert sich. Für „Longevity“‑Ziele ist das relevant, weil bessere Trainingsleistungen langfristig Kraft, Funktion und Muskelmasse im Alter stützen können.
In der EU sind zwei gesundheitsbezogene Aussagen für Creatin zugelassen: Erstens die allgemeine Leistungs-Claim für Erwachsene („erhöht die körperliche Leistung bei aufeinanderfolgenden, kurzen, hochintensiven Belastungen“) bei 3 g/Tag; zweitens speziell für über 55‑Jährige: 3 g Creatin täglich in Kombination mit regelmäßigem, moderatem Krafttraining verbessern die Muskelkraft. Kognitive Wirkungen sind hingegen nicht als Claim zugelassen – die EFSA stellte 2024 keinen Kausalzusammenhang fest. (Quellen: EFSA Journal, EUR‑Lex, EFSA)
Creatin puffert Energie in schnellen Belastungen und kann die Trainingsqualität verbessern. In der EU ist ein Leistungs‑Claim (3 g/Tag) erlaubt; bei 55+ zusätzlich ein Kraft‑Claim – kognitive Claims sind nicht erlaubt.
Mythos 1: „Creatin schädigt die Nieren“
Die Sorge entsteht oft, weil der Blutwert Kreatinin nach Creatin‑Einnahme steigen kann – und Kreatinin ist ein Standardmarker für die Nierenfunktion. Dieses Plus spiegelt jedoch meist den höheren Creatin‑Umsatz wider, nicht zwingend eine Nierenschädigung.
Was zeigt die Forschung? Randomisierte Studien und Meta‑Analysen finden bei gesunden Personen keinen Hinweis auf Nierenschäden bei üblichen Dosierungen. Eine Meta‑Analyse (2019) fand keine schädlichen Effekte auf relevante Nierenparameter; neuere RCTs mit sensiblen Biomarkern (z. B. KIM‑1, MCP‑1) berichten ebenfalls keine Beeinträchtigung – trotz gelegentlicher Anstiege des Serum‑Kreatinins. (Quellen: PubMed, PMC)
Praxis-Tipp für Labore: Wenn Sie Creatin nutzen, bitten Sie Ihren Hausarzt bzw. das Labor zusätzlich um Cystatin C oder eine kombinierte eGFR‑Berechnung (Kreatinin+Cystatin C). Diese Parameter sind weniger vom Muskelstoffwechsel beeinflusst und helfen, Fehlinterpretationen zu vermeiden. (Quellen: NEJM, PubMed)
Wer vorsichtig sein sollte: Personen mit bekannter Nierenerkrankung, unkontrolliertem Bluthochdruck/Diabetes mit Nierenbeteiligung oder gleichzeitiger Einnahme potentiell nephrotoxischer Medikamente sollten vor Beginn mit dem Nephrologen/Hausarzt sprechen.
Was dem Arzt sagen? Exakte Dosis (g/Tag), Einnahmedauer und der Hinweis, dass Serum‑Kreatinin unter Creatin ansteigen kann, ohne dass die GFR tatsächlich fällt.
Bei Gesunden zeigen Studien keine Nierenschäden durch Creatin. Lassen Sie bei Unsicherheit Cystatin‑C oder eine kombinierte eGFR bestimmen.
Mythos 2: „Creatin macht dehydriert und führt zu Krämpfen“
Der Mythos stammt aus frühen Anekdoten in Hitze-Sportarten. Systematische Reviews und RCTs zeigen jedoch: Creatin verschlechtert weder Thermoregulation noch Hydrationsstatus bei Belastung in der Wärme. Teilweise steigt sogar das Gesamtkörperwasser, und der Temperaturanstieg kann abgeschwächt sein. Feldstudien im College‑Football fanden zudem gleiche oder niedrigere Raten von Krämpfen, Hitzebelastungen und Verletzungen bei Creatin‑Nutzern im Vergleich zu Nicht‑Nutzern. (Quelle: PubMed)
So setzen Sie es um:
- Trinken Sie entsprechend Durst und Trainingslast. Creatin erfordert keine „Zwangshydration“, aber vernachlässigen Sie Flüssigkeit an heißen Tagen nicht.
- Hitze‑sensibel? Starten Sie mit niedriger Dosis, beobachten Sie Ihr Körpergefühl in warmen Umgebungen und passen Sie ggf. an.
Die Daten sprechen gegen Dehydration/Krämpfe durch Creatin. Hören Sie auf Ihren Durst, besonders bei Hitze, und dosieren Sie konservativ.
Mythos 3: „Creatin führt zwangsläufig zu Bloating“
Ein frühes Plus von etwa 1–2 kg während einer Ladephase ist normal. Es resultiert aus mehr Gesamtkörperwasser – und zwar überwiegend intrazellulär im Muskel, nicht aus „puffigem“ Unterhautfettwasser. Bei moderater Dauereinnahme stabilisiert sich das Gewicht typischerweise. Studien mit Verdünnungsmethoden bestätigen diesen Anstieg der Körperwassermenge; ob und wie sich das Wasser zwischen intra‑ und extrazellulären Kompartimenten verschiebt, hängt vom Protokoll ab. (Quellen: PMC, PubMed)
Praktische Lösungen bei „Bloating“ oder empfindlichem Magen‑Darm‑Trakt:
- Ladephase weglassen oder „Micro‑Loading“: 3–5 g/Tag über 3–4 Wochen – die Muskulatur sättigt, nur eben langsamer.
- Dosis aufteilen (z. B. morgens/abends) und zu einer Mahlzeit einnehmen.
- Große Einzelboli (10 g auf einmal) vermeiden – diese sind in Studien mit mehr Durchfall assoziiert. (Quelle: PubMed)
Gewichtszunahme zu Beginn ist meist muskelzelluläres Wasser, nicht „aufgeschwemmtes“ Gewebe. Kleinere, verteilte Dosen sind oft verträglicher.
Reale Nebenwirkungen – und wie man sie minimiert
- GI‑Beschwerden (Übelkeit, Durchfall), v. a. bei hohen Einzelgaben oder Ladephasen. Lösung: 3–5 g/Tag splitten, mit Mahlzeiten einnehmen, Pulver gut lösen; bei Bedarf auf mikrofein gemahlenes Creatin‑Monohydrat achten. (Quelle: PubMed)
- Gewicht: Ein leichter Anstieg ist üblich und überwiegend intrazelluläres Wasser. Beobachten Sie Taille und Kraft statt nur die Waage. (Quelle: PMC)
- Laborartefakt: Serum‑Kreatinin kann steigen; ggf. Cystatin C oder kombinierte eGFR anfordern. (Quelle: PubMed)
Die sinnvolle Dosis – Nutzen maximieren, Nebenwirkungen minimieren
Belegt beste Form: Creatin‑Monohydrat.
- Ohne Ladephase (longevity‑freundlich): 3–5 g/Tag zu einer Mahlzeit; Sättigung der Muskulatur in ca. 3–4 Wochen.
- Mit Ladephase: 20 g/Tag, auf 4 Gaben verteilt, für 5–7 Tage; danach 3–5 g/Tag. Rechnen Sie mit kurzfristig häufigeren GI‑Beschwerden und etwas mehr Wassergewicht.
- Dauer: Langzeitdaten (bis 5 Jahre in verschiedenen Populationen) zeigen gute Sicherheit bei Gesunden. Bei Vorerkrankungen bitte ärztlich begleiten. (Quelle: PMC)
Qualität, Recht und Deutschland/EU‑Spezifika
Was Sie claimen dürfen (und was nicht): In der EU ist die Leistungs‑Aussage für kurzzeitige, wiederholte, hochintensive Belastungen bei 3 g/Tag zulässig. Für Erwachsene 55+ ist zusätzlich die Kraft‑Aussage zulässig – allerdings nur bei täglicher Einnahme von 3 g in Verbindung mit regelmäßigem Krafttraining (≥ 3×/Woche, mehrere Wochen, 65–75 % 1‑RM). Kognitive Claims sind nicht autorisiert (EFSA 2024). (Quellen: EFSA Journal, EUR‑Lex, EFSA)
Anti‑Doping: Creatin steht nicht auf der WADA‑Verbotsliste (Stand: 1. Januar 2025). Wer im Wettkampf startet, sollte Produkte wählen, die auf der Kölner Liste geführt und chargengetestet sind, um Kontaminationsrisiken zu minimieren. Prüfen Sie im Zweifel die aktuelle WADA‑Prohibited List.
Einkaufstipps für Deutschland: Achten Sie auf den Begriff „Creatin‑Monohydrat“, transparente Chargennummern und – wenn relevant – unabhängige Tests. Vermeiden Sie „Proprietary Blends“ mit Stimulanzien, wenn Sie im Verband starten.
EU‑weit sind genau zwei Creatin‑Claims zulässig (Leistung; 55+ Kraft mit Training). Creatin ist erlaubt im Sport – bevorzugen Sie gelistete, getestete Produkte.
FAQ – die häufigsten Fragen in 1–2 Sätzen
- Verursacht Creatin Haarausfall? Ein RCT von 2025 fand keinen Effekt auf DHT, DHT/T‑Verhältnis oder Haarparameter; eine kleine Studie von 2009 zeigte unter Ladebedingungen höhere DHT‑Spiegel, ließ aber keinen kausalen Haarausfall nachweisen. (Quelle: PubMed)
- Creatin und Blutdruck? Es gibt keine belastbaren Hinweise auf nachteilige Effekte bei Gesunden; bei Hypertonie oder Nierenerkrankung bitte ärztlich abklären. (Quelle: PMC)
- Timing? Konstanz wichtiger als Uhrzeit; nehmen Sie es täglich, gern zu einer Mahlzeit. (Quelle: PMC)
- Vegetarier/Veganer? Häufig niedrigere Ausgangsspeicher und daher oft stärkere Ansprechraten auf Standarddosen. (Quelle: PMC)
Vertiefend: Creatin, Depression und psychische Gesundheit – ein Überblicksartikel mit Studienlage und praktischen Hinweisen.
Aktionsplan: So nutzen Sie Creatin diesen Monat sicher
Woche 1
- Starten Sie mit 3 g/Tag zu Ihrer Hauptmahlzeit.
- Trinken Sie nach Durst/Belastung; notieren Sie Gewicht, Taillenumfang, Trainingseindrücke.
Woche 2–4
- Weiter 3–5 g/Tag; bei Magenempfindlichkeit Dosis splitten.
- Erwarten Sie kleine Gewichtsschwankungen; achten Sie auf Kraft-/Funktionsgewinne.
Labore (falls Sie Blutwerte checken)
- Teilen Sie Ihrem Hausarzt mit, dass Sie Creatin einnehmen.
- Bitten Sie bei Nierencheck um Cystatin C oder eine kombinierte eGFR (Kreatinin+Cystatin C). (Quelle: PubMed)
Red Flags
- Bei anhaltenden Ödemen, starken GI‑Beschwerden oder bestehender Nierenproblematik: stoppen und ärztlich abklären.
Worauf Sie in Deutschland achten sollten (Recht & Hinweise)
Zulässige EU‑Claim‑Formulierungen (Auszug):
- „Creatin erhöht die körperliche Leistung bei aufeinanderfolgenden, kurzen, hochintensiven Belastungen“ – Bedingungen: 3 g/Tag; Zielgruppe: Erwachsene bei hochintensiver Belastung. (Quelle: EUR‑Lex)
- „Tägliche Creatin‑Aufnahme kann die Wirkung von Krafttraining auf die Muskelkraft bei Erwachsenen über 55 Jahren erhöhen“ – Bedingungen: 3 g/Tag + regelmäßiges Training (≥ 3×/Woche, mehrere Wochen, 65–75 % 1‑RM). (Quelle: EUR‑Lex)
- Nicht autorisiert: „Cognitiver Nutzen“ (EFSA 2024: Ursache‑Wirkung nicht belegt). (Quelle: EFSA)