Quercetin: Mögliche Wechselwirkungen – Vorsicht bei Antibiotika und Blutverdünnern
Leila WehrhahnAktualisiert:„Natürlich“ heißt nicht automatisch „wechselwirkungsfrei“. Quercetin ist ein beliebtes Longevity-Supplement – pharmakologisch aktiv und damit potenziell interaktionsstark. Besonders wichtig: Wer Blutverdünner, Plättchenhemmer oder aktuell Antibiotika nimmt, sollte die Risiken kennen und bewusst managen.
- Hohe Quercetin-Dosen (typisch 500–1000 mg/Tag, teils „verbesserte“ Formen) können Arzneistoff-Transporter und -Enzyme beeinflussen und die Blutgerinnung zusätzlich hemmen. Solche Effekte wurden in Humanstudien mit P‑gp‑Substraten (z. B. Fexofenadin) und OATP1B1‑Substraten (z. B. Pravastatin) gezeigt.
- Besonders vorsichtig oder besser meiden: Vitamin‑K‑Antagonisten (Warfarin, in Deutschland Phenprocoumon/Marcumar), DOAKs (Apixaban/Eliquis, Rivaroxaban/Xarelto, Edoxaban/Lixiana, Dabigatran/Pradaxa) und Thrombozytenhemmer (Aspirin, Clopidogrel). Bei laufender Antibiotikatherapie hohe Quercetin‑Dosen pausieren.
- Vor Operationen/Zahn‑Eingriffen Quercetin 7–14 Tage vorher absetzen (Abstimmung mit dem Behandlungsteam), da antiplättchenaktive Effekte nachgewiesen sind.
Weiterführende Evidenz: erhöhte Fexofenadin‑Exposition nach Quercetin‑Gabe in gesunden Probanden, erhöhte Pravastatin‑Exposition, antiplättchenaktive Synergie mit Aspirin, Fallbericht zu Warfarin‑Überantikoagulation durch quercetinreiche Muscadine‑Trauben sowie Fachmonographie mit CYP‑Hinweisen. Siehe Humanstudie zu Fexofenadin, Humanstudie zu Pravastatin, Antiplättchen‑Synergie, Warfarin‑Fallbericht, MSKCC‑Monographie.
Was nehmen Sie eigentlich ein, wenn Sie Quercetin einnehmen?
Quercetin ist ein Flavonoid, das natürlicherweise in Zwiebeln, Äpfeln, Beeren, Trauben und Tee vorkommt. Über die Nahrung liegen typische Aufnahmemengen meist im Bereich von etwa 5–40 mg pro Tag (je nach Ernährungsweise auch höher), während Nahrungsergänzungsmittel häufig 500–1000 mg pro Tag liefern. „Verbesserte“ Formulierungen – z. B. Quercetin‑Phytosom (Lecithin‑Komplexe), selbstemulgierende Hydrogel‑Systeme oder Isoquercitrin/„enzymatisch modifiziertes Isoquercitrin“ – können die Blutspiegel im Vergleich zum Aglykon um ein Vielfaches anheben.
Praxisrelevant: Je höher die Bioverfügbarkeit, desto höher das Interaktionspotenzial – auch wenn die nominale Milligramm‑Dosis gleich bleibt. Auf deutschen Etiketten finden Sie Begriffe wie „Quercetin“, „Isoquercitrin“, „Quercetin Phytosome“ oder Sammelbezeichnungen wie „Flavonoide“.
Lesetipp: Überblick zur menschlichen Bioverfügbarkeit in Humanreview zur Quercetin‑Bioverfügbarkeit; konkrete Daten zu Phytosom‑Steigerungen in Humanstudie mit Quercetin‑Phytosom sowie zur 62‑fachen Steigerung mit einem selbstemulgierenden System in randomisierter Crossover‑Studie.
Mehr Hintergründe zur antioxidativen und entzündungshemmenden Wirkung von Quercetin finden Sie in unserem Blogbeitrag.
Lebensmittel liefern wenig Quercetin, Supplements oft ein Vielfaches. „Enhanced“ Formen erhöhen die Blutspiegel stark – und damit auch die Chance auf Wechselwirkungen.
Warum Wechselwirkungen passieren: vier Mechanismen in Klartext
- Enzyme (CYPs): Quercetin hemmt in vitro u. a. CYP3A4 und CYP2C19 – die klinische Relevanz hängt vom jeweiligen Wirkstoff ab. Quelle: MSKCC‑Monographie und mikrosomale Hemmstudie.
- Transporter: In einer Humanstudie erhöhte Quercetin (500 mg dreimal täglich, 7 Tage) die Exposition des P‑gp‑Substrats Fexofenadin um 55–68% (AUC/Cmax). Zudem hemmt Quercetin OATP1B1 und erhöhte in Menschen die Pravastatin‑Exposition um 24–31%. Praxisschluss: Substrate von P‑gp oder OATP1B1 können sensibel reagieren.
- Pharmakodynamik: Quercetin und seine Metaboliten besitzen antiplättchen/antithrombotische Aktivität und verstärken die Aspirin‑Wirkung (Synergie).
- Proteinbindung: Quercetin ist zu ≈99% an Albumin gebunden und kann stark gebundene Arzneien verdrängen – für Warfarin wurde dies experimentell gezeigt.
Weiterführend: P‑gp‑Humanstudie, OATP1B1/Pravastatin‑Humanstudie, Aspirin‑Synergie, Albumin‑Bindung ≈99%, Warfarin‑Verdrängung.
Quercetin kann Enzyme und Transporter bremsen, Blutplättchen dämpfen und Eiweiß‑gebundene Medikamente verdrängen. Das erklärt, warum Blutverdünner und manche andere Wirkstoffe reagieren.
Blutverdünner und Plättchenhemmer
Vitamin‑K‑Antagonisten (VKA): Warfarin und Deutschlands Phenprocoumon (Marcumar)
Was wir wissen: Es gibt einen Fallbericht, in dem der Verzehr quercetinreicher Muscadine‑Trauben bei einer Warfarin‑Patientin mit übertherapeutischen INR‑Werten assoziiert war. Mechanistisch passt das: Quercetin kann Warfarin vom Albumin verdrängen; entsprechende In‑vitro‑ und biophysikalische Daten liegen vor. Enzymdaten sind uneinheitlich; die Kombination aus Verdrängung und individueller Variabilität macht Vorhersagen schwierig – deshalb konservativ als klinisch relevante potenzielle Interaktion werten.
Praxis‑Leitplanken:
- Hohe Quercetin‑Dosen und „enhanced“ Formen bei VKA meiden. Wenn unvermeidbar, INR engmaschig überwachen (zusätzliche Kontrollen über 1–2 Wochen bei Start/Stop) und Arzt/Apotheke einbinden.
- Deutschland‑Kontext: Phenprocoumon (Marcumar) ist ähnlich hoch eiweißgebunden und wird u. a. über CYP2C9/3A4 metabolisiert; behandeln Sie Quercetin hier mit derselben Vorsicht.
Siehe Warfarin‑Fallbericht, Albumin‑Verdrängung durch Quercetin, CYP2C9/3A4‑Beteiligung an Phenprocoumon‑Metabolismus.
DOAKs: Apixaban (Eliquis), Rivaroxaban (Xarelto), Edoxaban (Lixiana), Dabigatran (Pradaxa)
Was wir wissen: Alle DOAKs sind Substrate von Transportern; Rivaroxaban und Apixaban nutzen zusätzlich CYP3A4. Starke Inhibitoren von P‑gp/BCRP ± CYP3A4 können Spiegel und Blutungsrisiko erhöhen. Quercetin steigerte in Menschen die Exposition des P‑gp‑Probes Fexofenadin um ~55–68% – das impliziert ein mögliches Risiko erhöhter DOAK‑Spiegel, auch wenn direkte DOAK‑Daten zu Quercetin fehlen. Reale Daten zeigen zudem mehr Blutungen, wenn Apixaban oder Rivaroxaban mit kombinierten P‑gp/CYP3A4‑Inhibitoren gegeben werden.
Handlungsempfehlung („Orange“): Hohe Quercetin‑Dosen und „enhanced“ Formen vermeiden; wenn verwendet, engmaschige klinische Beobachtung auf Blutungszeichen (leichte Hämatome, Nasenbluten, Teerstuhl) und ärztliche Rücksprache. Wichtig: „Ein paar Stunden Abstand“ ist keine Lösung – systemische Transporter/Enzym‑Effekte lassen sich durch Timing nicht zuverlässig umgehen.
Quellen: MSKCC‑Monographie; DOAK‑Transport/Metabolismus in Übersichtsarbeit zu DOAK‑Interaktionen und DOAK‑Kurzübersicht; Humannachweis P‑gp‑Inhibition: Fexofenadin‑Studie; klinische Realdaten mit P‑gp/CYP3A4‑Inhibitoren: Retrospektive Kohorte.
Bei DOAKs ist das Risiko plausibel: Quercetin kann Transporter hemmen und so Spiegel erhöhen. Ohne ärztliche Freigabe besser keine hochdosierten oder „enhanced“ Produkte.
Thrombozytenhemmer: Aspirin, Clopidogrel u. a.
Quercetin‑Metaboliten hemmen die Plättchenfunktion und verstärken die Aspirin‑Wirkung in translationalen Modellen. In vitro hemmt Quercetin auch CYP2C19 – das ist für die Aktivierung von Clopidogrel relevant und begründet eine theoretische Sorge hinsichtlich Wirksamkeit. Netto überwiegt in der Praxis das potenzielle Zusatz‑Blutungsrisiko. Empfehlung: hohe Quercetin‑Dosen meiden; bei unvermeidbarer Einnahme auf Blutungszeichen achten und mit der Ärztin/dem Arzt abstimmen.
Siehe Aspirin‑Synergie, CYP‑Hemmdaten.
Geplante Operation oder Zahnbehandlung?
Viele Kliniken empfehlen, antiplättchenaktive Nahrungsergänzungen 1–2 Wochen vor einem Eingriff zu stoppen. Angesichts der nachgewiesenen antiplättchenaktiven Effekte von Quercetin ist es vernünftig, 7–14 Tage vorher zu pausieren – das genaue Timing bitte mit dem OP‑Team klären.
Beleg: translationaler Nachweis antiplättchenaktiver Effekte.
Und die Antibiotika? Gemischte Lage – und bisher kaum Humandaten
Laborbild: Es gibt etliche Berichte über Synergien von Quercetin mit Antibiotika gegen problematische Keime (z. B. Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, Acinetobacter baumannii), u. a. weniger Biofilm, bessere Abtötung und Hemmung der Quorum‑Sensing‑Signalwege. Gleichzeitig zeigen andere Arbeiten – insbesondere bei E. coli – eine Dosis‑abhängige Abschwächung der bakteriziden Wirkung mehrerer Antibiotika durch Quercetin. Ergebnis: abhängig von Keim, Dosis und Kontext sind sowohl pro‑ als auch anti‑antibiotische Effekte möglich.
Menschenstudien: Es gibt derzeit keine robusten klinischen Belege, dass die Kombination Quercetin + Antibiotikum im Alltag sicher nützt. Deshalb kein DIY‑„Boosting“ zuhause.
Handlungsempfehlung: Bei laufender Antibiotikatherapie hochdosierte Quercetin‑Supplements pausieren und erst 48–72 Stunden nach Ende wieder starten – es sei denn, die Ärztin/der Arzt rät ausdrücklich anders. Quercetin ersetzt niemals ein verordnetes Antibiotikum.
Weiterführend: Übersicht zu Synergien gegen MRSA, Synergie mit Antibiotika gegen P. aeruginosa, Kombination mit Tetrazyklinen gegen S. aureus‑Biofilm, Antagonismus bei E. coli.
Spannend im Labor, unklar im Alltag: Quercetin kann Antibiotika verstärken oder stören. Während einer Antibiotika‑Kur besser pausieren – Sicherheit geht vor.
Mehr als Blutverdünner: weitere häufige Wechselwirkungs‑Fallen (kurz)
- Statine via OATP1B1 (z. B. Pravastatin; potenziell auch Rosuvastatin): Quercetin erhöhte in Menschen die Pravastatin‑Exposition um ~24–31%. Bei Statintherapie medizinische Prüfung erwägen.
- Allgemeine Vorsicht bei Substraten von P‑gp/CYP3A/CYP2C19 oder Arzneien mit engem therapeutischem Fenster: Die MSKCC‑Monographie rät zu Vorsicht bei CYP3A4/2C19‑Substraten. Individuelle Abklärung ist ratsam.
Weiterführend: Pravastatin‑Humanstudie.
Neben Blutverdünnern können auch Transporter‑sensible Medikamente (z. B. manche Statine) reagieren. Bei kritischen Arzneien Rücksprache halten.
Praktische „Ampel“ für Leserinnen und Leser in Deutschland
- Vitamin‑K‑Antagonisten: Warfarin; Phenprocoumon/Marcumar.
- Kombinierte Antithrombotika (z. B. DOAK + Aspirin).
Warum: potenzielle Albumin‑Verdrängung, antiplättchenaktive Effekte und variable Enzym/Transporter‑Wechselwirkungen → unvorhersehbare INR/Blutungsrisiken. Beleg u. a. Warfarin‑Fallbericht.
- DOAKs: Xarelto, Eliquis, Lixiana, Pradaxa.
- Plättchenhemmer: Aspirin, Clopidogrel (Plavix/Iscover).
- Transporter/CYP‑sensitive Wirkstoffe: z. B. Pravastatin, einige Chemotherapeutika, ausgeprägte P‑gp/CYP3A‑Substrate.
Warum: nachgewiesene P‑gp/OATP‑Effekte in Menschen; antiplättchenaktive Synergien; in vitro CYP‑Effekte. Belege: Fexofenadin‑Humanstudie, Pravastatin‑Humanstudie, Aspirin‑Synergie.
- Gesunde ohne interaktionsrelevante Medikamente.
Hinweis: Phytosom/isoquercitrin & Co. erhöhen die Exposition deutlich; niedrig starten und bei späterer Medikamentenneueinstellung erneut prüfen. Beleg: Phytosom‑Humanstudie.
So nutzen Sie Quercetin sicherer (falls passend)
- Liste erstellen: Notieren Sie alle Medikamente und Supplements. Markieren Sie Antikoagulanzien/Plättchenhemmer/Antibiotika/Statine.
- Rot/Orange erkannt? Vor dem Start zwingend mit Ärztin/Arzt oder Apotheke sprechen.
-
Freigabe erhalten?
- Mit niedriger Dosis beginnen (z. B. 250 mg/Tag), nicht gleichzeitig weitere antiplättchenaktive Pflanzenstoffe „stapeln“ (Ginkgo, Knoblauch, Kurkuma u. a.).
- „Enhanced“ Bioverfügbarkeits‑Formen meiden, außer ausdrücklich empfohlen.
- Nach 2–4 Wochen Wirkung/Verträglichkeit neu bewerten.
- Bei Blutungszeichen sofort stoppen und ärztliche Hilfe suchen.
- Während Antibiotika‑Therapie Quercetin pausieren; Wiederaufnahme 48–72 h nach Ende (sofern medizinisch i. O.).
- Vor Eingriffen: Ohne gegenteilige Anweisung 7–14 Tage vorher absetzen und dem OP‑Team mitteilen.
FAQs – kurz beantwortet
- Ist Quercetin aus Zwiebeln/Äpfeln problematisch? Für die meisten nein. Sorge bereiten hoch dosierte Supplements und besonders bioverfügbare Formen. Überblick: Humanreview zur Bioverfügbarkeit.
- Reicht Abstandhalten zu DOAKs (einige Stunden)? Nein. Systemische Enzym/Transporter‑Effekte lassen sich durch Timing‑Tricks nicht zuverlässig ausschalten. Beleg für systemische P‑gp‑Hemmung: Fexofenadin‑Studie.
- Kann Quercetin Aspirin „ersetzen“ für Longevity? Nein. Es gibt keine klinische Evidenz für einen Ersatz. Zudem kann Quercetin die Plättchenfunktion beeinflussen und Arzneiwirkungen verändern. Siehe antiplättchenaktive Synergie.
Rechtliches & Sicherheit (Deutschland)
Quercetin‑Produkte sind Nahrungsergänzungsmittel – keine Arzneimittel. Sie unterliegen keiner Zulassung, müssen aber sicher sein; die Verantwortung liegt primär beim Anbieter. Sprechen Sie vor der Einnahme insbesondere bei Marcumar/DOAKs/Plättchenhemmern oder bei Beginn einer Antibiotikatherapie mit dem Hausarzt oder der Apotheke. Mehr dazu beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und beim Bundeszentrum für Ernährung (BZfE).
Bottom line
Quercetin ist pharmakologisch aktiv – das macht es spannend für die Longevity‑Community, aber auch interaktionsanfällig. Die besten Humanbelege für klinisch relevante Risiken betreffen Blutverdünner (insbesondere VKA; bei DOAKs sind P‑gp‑Effekte plausibel) und bestimmte Transporter‑vermittelte Arzneistoffe; die Kombination mit Antibiotika ist wissenschaftlich interessant, klinisch jedoch unvorhersehbar. Im Zweifel: pausieren und nachfragen.
Print‑Checkliste & Gesprächs‑Mini‑Script
- [ ] Ich nehme folgende Gerinnungshemmer/Plättchenhemmer: ________
- [ ] Ich nehme derzeit ein Antibiotikum: ________ (bis ________)
- [ ] Weitere sensible Medikamente (Statin/andere): ________
- [ ] Geplanter Eingriff am: ________
Satz für Arzt/Apotheke: „Ich überlege, Quercetin (voraussichtlich ___ mg/Tag, Form: ________) einzunehmen. Ich nehme [Marcumar/DOAK/Aspirin/Clopidogrel/Statin/Antibiotikum]. Sehen Sie Interaktionsrisiken oder Monitoring‑Bedarf (z. B. INR/Blutungszeichen)?“