Quercetin in hohen Dosen: Nebenwirkungen und Risiken

Leila WehrhahnAktualisiert:

Longevity-Perspektive

Kurzfazit: In Humanstudien über bis zu 8–12 Wochen wurde orales Quercetin mit insgesamt 500–1.000 mg/Tag meist gut vertragen; gelegentlich traten Kopfschmerzen, Magen‑Darm‑Beschwerden oder Kribbeln auf. Für höhere oder längerfristige Expositionen fehlen robuste Daten; besonders bei sehr hohen Dosen, intravenöser Gabe oder stark bioverfügbaren Formulierungen rücken Interaktionen (Transporter/Enzyme: OATP, P‑gp, CYP) und seltene Nierenrisiken in den Fokus. Personen mit Nierenerkrankungen, Schwangere/Stillende oder Menschen unter bestimmten Medikamenten sollten ohne ärztliche Begleitung verzichten. Ein Safe‑Use‑Check folgt im Artikel. LiverTox‑Übersicht. Mehr zu den potenziell entzündungshemmenden Eigenschaften von Quercetin finden Sie in unserem Hintergrundbeitrag: Quercetin und Entzündungshemmung.


1) Was gilt als „höhere Dosis“ bei Quercetin?

- In klinischen Studien liegen typische Nahrungsergänzungs‑Dosen bei rund 500–1.000 mg/Tag für bis zu 12 Wochen. In einer Dosis-Eskalationsstudie mit COPD‑Patienten wurden 500, 1.000 und 2.000 mg/Tag über eine Woche ohne schwerwiegende Nebenwirkungen toleriert; das sind jedoch Kurzzeitdaten. COPD‑Sicherheitsdaten, Open‑Access‑Volltext.

- „Gesenolytische“ Protokolle (experimentell) kombinieren Dasatinib + Quercetin (z. B. 100 mg Dasatinib + 1.000–1.250 mg Quercetin pro Tag, 3 Tage/Woche) und berichteten in kleinen Pilotstudien keine schwerwiegenden, dem Kombi‑Regime direkt zuzuordnenden Ereignisse; Risiken werden jedoch überwiegend durch Dasatinib bestimmt. Pilotstudie bei diabetischer Nierenerkrankung; IPF‑RCT zu Machbarkeit/Toleranz.

- Wichtig: „Höhere Dosis“ bedeutet in diesem Artikel ≥1.000 mg/Tag ODER jede Dosis in stark bioverfügbaren Formen (z. B. Phytosome/Liposomal/Self‑Emulsifying), die die systemische Exposition um etwa 7–20‑fach steigern können – was funktionell mehreren Gramm Standard‑Quercetin entspricht. Phytosome‑Humanstudie; Systematisches Review 2024 zur Bioverfügbarkeit.

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Bis 1.000 mg/Tag oral über 8–12 Wochen gelten als typischer Studienbereich. Mit „High‑Bioavailability“-Formen kann schon 500 mg/Tag einer Mehr‑Gramm‑Exposition entsprechen.

2) Bewiesene und plausible Nebenwirkungen bei höherer Exposition

- Häufig, meist mild: Kopfschmerzen, Magen‑Darm‑Beschwerden, Parästhesien. Raten sind in vielen Studien placeboähnlich, individuelle Reaktionen variieren. LiverTox‑Bewertung.

- Nieren: In einer onkologischen Phase‑I‑Studie mit sehr hohen intravenösen Dosen trat dosislimitierende Nephrotoxizität auf; orale Kurzzeit‑Daten bei Gesunden zeigen keinen klaren Nephrotoxizitäts‑Befund, dennoch Vorsicht bei vorbestehender Nierenerkrankung. Phase‑I i.v..

- Blutdruck: Metaanalysen zeigen leichte Blutdrucksenkungen, vor allem ab ≥500 mg/Tag. Unter Antihypertensiva sind additive Effekte (Schwindel/Hypotonie) möglich. JAHA‑Metaanalyse 2016.

- Leber: Kein überzeugendes Signal für klinisch relevante Hepatotoxizität beim Menschen; LiverTox‑Likelihood E (unwahrscheinlich). LiverTox.

- Schilddrüse (präklinisch): Zell- und Tierdaten zeigen Hemmung der Dejodase und eine Down‑Regulation schilddrüsenspezifischer Gene; bei unkontrollierten Schilddrüsenerkrankungen eher Vorsicht, da Human‑Daten begrenzt sind. Übersicht 2024; Tier/Zell‑Studie.

- Östrogenabhängige Tumorpromotion (Tiere): Sehr hohe diätetische Quercetin‑Gaben potenzierten östrogeninduzierte Mammatumoren in ACI‑Ratten; Relevanz für gängige Menschendosen unklar – bei ER+‑Vorgeschichte onkologische Rücksprache. Toxicol Appl Pharmacol 2010.

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Milde Magen‑Darm‑ und Kopfschmerz‑Beschwerden sind möglich. Nieren- und Hormonsignale stammen v. a. aus i.v. Onkologie bzw. Präklinik; bei Risikogruppen vorsichtig dosieren und überwachen.

3) Wichtige Wechselwirkungen (für Leser in Deutschland besonders relevant)

Transporter (OATP/P‑gp) und typische Medikamente

  • Statine (OATP1B1): Quercetin hemmte OATP1B1; bei Gesunden stieg die Pravastatin‑Exposition (AUC) nach 14 Tagen 500 mg/Tag Quercetin um ~24%. Studie zu OATP1B1/Pravastatin.
  • Antihistaminika (Fexofenadin): 500 mg Quercetin 3×/Tag über 7 Tage erhöhten AUC ~55% (P‑gp/OATP‑Interplay). Human‑DDI mit Fexofenadin.

Weitere Hochrisiko‑Kombinationen

  • Cyclosporin (Transplantation): Tierdaten zeigen reduzierte orale Exposition (P‑gp/CYP3A4‑Modulation) – Kombination meiden; Transplantierte nicht selbst experimentieren. Ratten‑DDI.
  • Antikoagulanzien/Thrombozytenhemmer: Mechanistisch und ex vivo antiplättchenwirksam; mögliche Synergien mit ASS. Ein Fallbericht beschreibt erhöhte INR unter warfarin‑behandelter Patientin mit quercetinreichen Trauben. Ärztliche Rücksprache/INR‑Kontrolle! Plättchen/ASS‑Synergie; Warfarin‑Fallbericht.
  • Digoxin: Gefährliche PK‑Interaktion in Tiermodell (P‑gp‑Substrat); beim Menschen fehlen Daten – höchste Vorsicht, Apotheke/Arzt einbinden. Schweine‑Studie.
  • Onkologische Therapien/Narrow‑Therapeutic‑Index‑Arzneien: Präklinisch moduliert Quercetin CYP3A4 und P‑gp (z. B. veränderte Doxorubicin‑Exposition in Ratten). Jede Chemo‑Kombination nur unter ärztlicher Aufsicht. Doxorubicin‑DDI (Tier).
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Quercetin kann Transporter/Enzyme hemmen oder induzieren und so Wirkspiegel verändern. Besonders aufpassen bei Statinen, Fexofenadin, Antikoagulanzien, Immunsuppressiva, Digoxin und Chemotherapien.

4) Formulierung und Bioverfügbarkeit: Warum „1.000 mg“ nicht gleich „1.000 mg“ sind

Phospholipid‑/Lecithin‑Komplexe (Phytosome), selbstemulgierende Systeme (SERR/LM) und bestimmte Glycoside erhöhen die Plasmaspiegel um ca. 7–20‑fach gegenüber Standard‑Aglykon bei identischer Milligramm‑Dosis. Praktisch heißt das: 500 mg als Phytosome können einer Exposition von mehreren Gramm „normalem“ Quercetin entsprechen – Dosisobergrenzen und Interaktionsdenken sollten entsprechend konservativer sein. Phytosome‑Human‑PK (bis ~20×); Bioverfügbarkeits‑Review 2024.

🔍 Kurz zusammengefasst

Formulierung entscheidet: „Hochbioverfügbar“ kann >10× höhere Blutspiegel erzeugen. Behandle 500 mg Phytosome im Risiko‑Denken wie „mehrere Gramm“ Standardform.

5) Wer sollte verzichten – oder nur unter ärztlicher Aufsicht einnehmen?

  • Chronische Nierenerkrankung oder Nierenvorgeschichte; i.v. Hochdosen zeigten nephrotoxische Signale. Phase‑I i.v..
  • Schwangerschaft/Stillzeit: Mangels adäquater Human‑Sicherheitsdaten vorsorglich meiden. Narrative Übersicht mit Vorsichtshinweis.
  • Medikation: Statine (z. B. Pravastatin), Antihistaminika (Fexofenadin), Antikoagulanzien/Plättchenhemmer, Immunsuppressiva (Cyclosporin), Digoxin, diverse Onkologika – vorher Arzt/Apotheke einbinden. OATP/Pravastatin, Fexofenadin, Cyclosporin, Digoxin.
  • Aktive ER+‑Tumoren/Endokrine Therapie: Theoretische Bedenken aus Tier‑/Zelldaten – nur in Abstimmung mit Onkologie. ACI‑Ratten‑Studie.

6) Regulatorischer Rahmen in Deutschland/EU (kurz)

In Deutschland/EU sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel, nicht Arzneimittel. Hersteller sind für Sicherheit verantwortlich; EU‑weit gibt es keine verbindlichen Höchstmengen für „sonstige Stoffe“ wie Quercetin. Die EFSA hat Gesundheitsangaben zu Quercetin bislang nicht bestätigt – großspurige Heilsversprechen sind daher mit Skepsis zu sehen. BfR‑Hintergrund; EFSA‑Gutachten zu Quercetin‑Claims.

7) Praktische Dosierung für Longevity‑Interessierte (keine medizinische Beratung)

  • Langsam starten: 250–500 mg/Tag zu einer Mahlzeit für 1–2 Wochen; auf Verträglichkeit achten (Kopf, Magen‑Darm, Kribbeln). LiverTox
  • Vorsichtige Steigerung: Bei Bedarf auf 500–1.000 mg/Tag für bis zu 8–12 Wochen. Mehr als 1.000 mg/Tag ohne ärztliche Begleitung vermeiden – und bei hochbioverfügbaren Formen strenger denken (500 mg Phytosome ≈ „mehrere Gramm“ Standard). Expositionsmultiplikatoren.
  • Keine Kombination mit potenziell interagierenden Arzneien ohne Freigabe durch Arzt/Apotheke (Checkliste unten).
  • Mit Essen und genügend Flüssigkeit einnehmen, um Magen‑Darm‑Beschwerden zu reduzieren. LiverTox
  • Sofort absetzen und ärztlichen Rat suchen bei: Schwindel (mögliche Hypotonie), ungewöhnlichen Blutungen/Blutergüssen, Palpitationen, Flankenschmerz. Metaanalyse
  • „Pulsed Senolytics (D+Q)“: Experimentell; außerhalb klinischer Studien kein Selbstversuch mit Dasatinib. Quercetin alleine ist beim Menschen als Senolytikum nicht etabliert. IPF‑Pilot (offen); DKD‑Pilot.

Safe‑Use‑Check (zum Abhaken, vor Start)

  • Besteht eine Nierenerkrankung oder Vorgeschichte? → Vorher Blutwerte prüfen lassen. Quelle
  • Nehme ich Pravastatin oder andere OATP‑Substrate? → Arzt/Apotheke fragen. Quelle
  • Nehme ich Fexofenadin (Heuschnupfen)? → Interaktionsrisiko besprechen. Quelle
  • Antikoagulanzien/ASS/Dualtherapie? → INR/Blutungsbeobachtung, ärztliche Freigabe. Quelle
  • Cyclosporin/Digoxin/Chemo? → Nur unter ärztlicher Kontrolle. Quelle
  • Schwangerschaft/Stillzeit? → Nicht eigenständig verwenden. Quelle

8) Monitoring (so wird’s konkret)

  • Nierenfunktion (eGFR, Kreatinin) vor Start und nach 4–8 Wochen, wenn ≥1.000 mg/Tag Exposition oder CKD‑Risiko. Hinweis i.v.‑Daten.
  • Blutdruck zu Hause messen, besonders bei Hypertonie/Antihypertensiva. Metaanalyse.
  • Gerinnung (INR/Symptome) bei Warfarin oder dualer Plättchenhemmung: engmaschig und ärztlich geführt. Warfarin‑Fall.
  • Arzneimittel‑Review mit Apotheke/Arzt: OATP/P‑gp/CYP‑Interaktionspotential (Statine, Fexofenadin, Cyclosporin, Digoxin, Chemo). Transporter‑Hintergrund.

9) Qualität & Einkauf (deutschlandrelevant)

  • Achte auf Drittanbieter‑Tests (z. B. pharmanahe Labore). Seid vorsichtig bei ultrahohen Dosen und „Stacked Bioflavonoid“-Mischungen.
  • Analysen zeigen: Gehalt stimmt oft, aber nicht immer; Online‑Werbung ist teils irreführend, Dosen häufig hoch. HPLC‑Analyse von Online‑Produkten.
  • Generell sind Supplement‑Etiketten nicht unfehlbar; Fehlkennzeichnung ist im Markt verbreitet – ein weiterer Grund für seriöse Anbieter. DILIN‑Analyse (51% Fehlkennzeichnung).

10) Forschungslücken – worauf achten in den nächsten Jahren?

  • Langzeit‑Sicherheit ≥1.000 mg/Tag über >12 Wochen.
  • Vergleichende Sicherheit zwischen hochbioverfügbaren Formulierungen.
  • Reale Interaktionsstudien (Statine, Antihistaminika, Antikoagulanzien, Immunsuppressiva).
  • Schilddrüsen‑Outcomes beim Menschen.
  • Senolytische Protokolle mit klinischen Endpunkten. Sicherheitsreview 2017.

Interaktions‑Hotlist (Merkliste)

Pravastatin (OATP1B1), Fexofenadin (P‑gp/OATP), Cyclosporin (P‑gp/CYP3A4), Warfarin/ASS (Gerinnung/Plättchen), Digoxin (P‑gp). OATP/Pravastatin; Fexofenadin; Cyclosporin; Plättchen/ASS; Digoxin.

Formulierung zählt (Exposure‑Äquivalenz, Daumenregel)

  • Standard‑Aglykon 1.000 mg ≈ 1× Exposition
  • Phytosome/Lecithin‑Komplex 500 mg ≈ bis zu ~10–20× Standard‑Exposition
  • Selbstemulgierende Systeme/Glycoside: 7–20× (je nach System/Matrix) Phytosome‑PK; Review 2024.

„Sprechen Sie mit Ihrem Arzt/Ihrer Apotheke“ – Gesprächsleitfaden

  • „Ich überlege, Quercetin für 8–12 Wochen (500–1.000 mg/Tag) einzunehmen. Ich nehme derzeit: [Liste]. Gibt es Interaktions‑ oder Blutdruck/Nieren‑Risiken?“
  • „Meine Formulierung ist [Standard/Phytosome]. Entspricht das einer höheren systemischen Exposition?“
  • „Soll ich vorab eGFR/Kreatinin prüfen und nach 4–8 Wochen wiederholen? Soll ich zu Hause den Blutdruck protokollieren?“
  • „Wenn ich Warfarin/Plättchenhemmer nehme: Wie engmaschig sollten INR/Blutungen kontrolliert werden?“

Hinweis: Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel. Dieser Beitrag ersetzt keine medizinische Beratung. Menschen mit Vorerkrankungen oder unter verschreibungspflichtigen Medikamenten sollten vor der Einnahme mit Arzt/Apotheker sprechen. BfR‑Einordnung.


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FAQ

Ist Quercetin für die Langlebigkeit sinnvoll?

Quercetin ist vielversprechend (u. a. antioxidativ, potenziell blutdrucksenkend). Für Longevity‑Effekte beim Menschen fehlen jedoch harte Endpunkte. Wer es ausprobieren will, sollte konservativ dosieren, Interaktionen prüfen und monitoringbasiert vorgehen.

Welche Dosis gilt als ‚hoch‘?

Ab ca. 1.000 mg/Tag – oder jede Dosis in stark bioverfügbarer Form (Phytosome/SE‑Systeme), die 7–20× höhere Blutspiegel erzeugen kann. Bei diesen Formen sind strengere Obergrenzen sinnvoll.

Wie lange kann ich Quercetin einnehmen?

Für 8–12 Wochen liegen Human‑Daten vor. Über längere Zeiträume (und bei ≥1.000 mg/Tag oder hochbioverfügbaren Formen) sind die Sicherheitsdaten lückenhaft – hier ärztlich begleiten.

Welche Nebenwirkungen sind typisch?

Meist mild: Kopfschmerzen, Magen‑Darm‑Beschwerden, Kribbeln. Bei Schwindel, Blutungszeichen, Herzklopfen oder Flankenschmerzen absetzen und ärztlich abklären.

Welche Medikamente können problematisch sein?

Pravastatin und andere OATP‑Substrate, Fexofenadin, Warfarin/ASS, Cyclosporin, Digoxin sowie mehrere Onkologika. Vorher Arzt/Apotheke einbinden.

Ist Quercetin lebertoxisch?

Ein überzeugendes Signal für Hepatotoxizität beim Menschen gibt es nicht (LiverTox‑Likelihood E). Trotzdem gilt: Vorsicht bei Kombinationen und realistische Erwartungshaltung.

Kann ich Quercetin in der Schwangerschaft nehmen?

Mangels adäquater Human‑Sicherheitsdaten wird davon abgeraten. In Schwangerschaft/Stillzeit keine Selbstmedikation.

Wie wir diesen Artikel überprüft haben:

Quellen

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