Quercetin im Fokus: Was die Forschung bisher über seine entzündungshemmende Wirkung weiß
Leila WehrhahnAktualisiert:Warum Quercetin immer wieder in Anti‑Entzündungs‑Gesprächen auftaucht
Chronisch niedrige Entzündung ist ein zentrales Thema der Longevity‑Szene – Stichwort „inflammaging“. Sie steht mit schnellerem biologischem Altern und häufigen Altersleiden in Zusammenhang. Quercetin, ein gelber Flavonol‑Farbstoff aus Zwiebeln, Äpfeln, Kapern, Buchweizen oder Grünkohl, wird seit Jahren als potenziell entzündungsmodulierend diskutiert. Die Humanstudien zeigen jedoch ein gemischtes Bild: teils positive Signale, teils keine Effekte. In diesem Überblick fassen wir zusammen, wo die Evidenz überzeugt, wo sie schwächer ist – und wie Sie Quercetin in Deutschland sinnvoll, sicher und rechtskonform testen können. Zum Einordnen der Größenordnung: Über die Ernährung nehmen Europäer im Alltag meist wenige bis einige Dutzend Milligramm Quercetin pro Tag auf (typisch etwa 5–40 mg/Tag; Hauptquellen sind Zwiebeln, Tee, Äpfel), während viele Studien 500–1.000 mg/Tag untersuchen. USDA‑Flavonoid‑Datenbank; Übersichtsarbeit zu Aufnahme und Bioverfügbarkeit.
Niedriggradige Entzündung beschleunigt Altern. Quercetin aus typischen Lebensmitteln liefert meist nur zweistellige mg‑Mengen; Studien nutzen häufig 500–1.000 mg/Tag.
Was ist Quercetin? Chemie, Lebensmittelquellen und warum Bioverfügbarkeit zählt
Quercetin gehört zur Flavonol‑Familie. Reich sind v. a. rote/gelbe Zwiebeln (äußere Schichten), Kapern, Buchweizen, Grünkohl und Beeren – mit teils großer Spannweite je Sorte, Schale, Lagerung und Zubereitung. Für Nährwert‑Nerds: verlässliche Gehaltsangaben liefert die USDA‑Flavonoid‑Datenbank. Ergänzend dienen Fachdatenbanken wie Phenol‑Explorer als Orientierung.
In Nahrungsergänzungsmitteln finden Sie verschiedene Formen: das schlecht lösliche Aglykon (häufig als „Quercetin‑Dihydrat“), die besser lösliche Isoquercitrin‑Form, enzymatisch modifizierte Isoquercitrin‑Mischungen (EMIQ/AGIQ) sowie Lecithin‑Komplexe („Phytosome“) oder andere Trägersysteme (z. B. Cyclodextrin‑Komplexe). Sie alle adressieren das Grundproblem: Die Löslichkeit des Aglykons ist gering, wodurch die Aufnahme limitiert ist. EMIQ‑Übersicht; Phytosome‑Humanstudie.
Schnappschuss Pharmakokinetik: Gegenüber einfachem Quercetin steigern moderne Formulierungen die systemische Exposition teils deutlich (z. B. Lecithin‑Phytosome bis etwa 20‑fach; Cyclodextrin/EMIQ und selbstemulgierende Systeme ebenfalls signifikant). Die exakte Steigerung variiert je Studie, Dosis und Messmethode. Phytosome‑Studie; systematischer Review zu Bioverfügbarkeit.
Quercetin gibt’s in unterschiedlichen Formen. Formulierungen wie EMIQ oder Lecithin‑Phytosome erhöhen die Blutspiegel teils deutlich – was nicht automatisch klinischen Zusatznutzen garantiert.
Wie könnte Quercetin Entzündungssignale dämpfen? (Kurz und visuell gedacht)
Präklinische Arbeiten zeigen, dass Quercetin zentrale Entzündungswege modulieren kann: herunterregulierte NF‑κB‑ und MAPK‑Signaltransduktion, verminderte COX‑2‑Expression und weniger Prostaglandin E2. Zudem gibt es Hinweise auf Effekte am NLRP3‑Inflammasom (z. B. reduzierte ASC‑Oligomerisierung) und auf antioxidative/mitochondriale Signalpfade (u. a. SIRT1/PGC‑1α). Wichtig: Die meisten Mechanismen stammen aus Zell‑/Tiermodellen; ihre Relevanz hängt davon ab, ob vergleichbare Blutspiegel beim Menschen erreichbar sind. NF‑κB/MAPK‑Daten; NLRP3‑Mechanismus.
Quercetin greift in Entzündungsschalter wie NF‑κB und Inflammasomen ein – bislang vor allem im Labor gezeigt.
Humandaten: Was zeigen randomisierte Studien und Meta‑Analysen?
- Gemischte Populationen, systemische Marker: Eine Meta‑Analyse randomisierter Studien fand insgesamt keine konsistenten Effekte auf CRP, IL‑6 oder TNF‑α; in Subgruppen (z. B. mit bestehender Erkrankung oder höheren Dosen) gab es Hinweise auf CRP‑ bzw. IL‑6‑Senkungen. Meta‑Analyse zu Entzündungsmarkern.
- Metabolisches Syndrom/Verwandtes: Zusammengefasst zeigen Studien eine Senkung von CRP sowie LDL‑Cholesterin, während IL‑6/TNF‑α nicht zuverlässig beeinflusst wurden. Effekte hängen vom Ausgangsniveau und der Dosis ab. Meta‑Analyse zu Metabolik.
- Sport/Erholung: Bei aktiven/trainierten Personen kann Quercetin (≈1.000 mg/Tag ≥7 Tage) Marker für Muskelschädigung (CK), Muskelkater und oxidativen Stress reduzieren; IL‑6 blieb häufig unverändert. Nützlich für Regeneration – kein Allheilmittel. Sport‑Meta‑Analyse.
- Rheumatoide Arthritis (Signal, klein): 8‑Wochen‑RCT (500 mg/Tag) verbesserte Schmerzscores und senkte hs‑TNF‑α; kleine Stichprobe, daher vorsichtig interpretieren. RA‑RCT.
- Akute Virusinfektion/COVID‑19 (nuanciert): Eine Meta‑Analyse (5 kleine RCTs) zeigte weniger LDH sowie geringere Risiken für Hospitalisierung/ICU/Mortalität, jedoch keine signifikanten Veränderungen bei CRP; heterogene Settings und Begleittherapien begrenzen die Übertragbarkeit auf den Alltag. Hypothesengenerierend, kein Standard. COVID‑19‑Meta‑Analyse.
- Überblick quer über kardiometabolische Endpunkte: Eine Umbrella‑Review (2023) fand insgesamt keine konsistenten Effekte auf Entzündung, Lipide, Blutdruck, Glykämie etc. – Ausnahmen existieren, die Gesamtlage bleibt gemischt. Umbrella‑Review.
Takeaway: Anti‑entzündliche Effekte beim Menschen sind plausibel, aber kontextabhängig. Die besten Signale sehen wir bei erhöhter Ausgangsentzündung/metabolischem Risiko und/oder mit gut resorbierbaren Formulierungen sowie ausreichender Dosis und Dauer.
Quercetin wirkt nicht immer – eher bei erhöhtem Entzündungsniveau, passender Dosis/Dauer und optimierter Formulierung.
Dosierung, Timing und wie lange testen?
In Humanstudien wurden am häufigsten 500–1.000 mg/Tag über 8–12 Wochen eingesetzt. Kurzfristige Sicherheitsdaten bis 2.000 mg/Tag (7 Tage) liegen vor; in anderen Indikationen wurden in Phase‑I‑Settings auch höhere Dosen untersucht – das ist keine allgemeine Empfehlung, zeigt aber die Sicherheitsmarge. Starten Sie niedriger und prüfen Sie nach 8–12 Wochen anhand von Biomarkern/Symptomen. Einnahme mit einer fetthaltigen Mahlzeit und ggf. in geteilten Dosen kann die Aufnahme verbessern. Nahrungsfette und ‑fasern verdoppeln die Bioverfügbarkeit grob; spezielle Formulierungen können stärker steigern. Sicherheits‑RCT (bis 2.000 mg/Tag); Phase‑I‑Daten (Hepatitis‑C‑Studie); Bioverfügbarkeit: Einfluss von Fett/Faser/Form.
Praxis: 500–1.000 mg/Tag für 8–12 Wochen testen, mit Essen einnehmen. Nach 8–12 Wochen Daten checken und nur bei Nutzen fortführen.
Food‑first: alltagstaugliche Quellen und Ideen (DE‑Alltag)
Lebensmittel mit relevanten Quercetin‑Mengen (je 100 g, stark schwankend): rote/gelbe Zwiebeln (Schale/äußere Schichten erhalten), Kapern, Buchweizen, Grünkohl, einige Beeren. Kochen, Schälen und Lagern beeinflussen die Gehalte. Für Küchenpraxis in Deutschland:
- Buckwheat‑Bowl mit gebratenen Buchweizengrütze, roten Zwiebeln, Rucola, Zitronen‑Olivenöl‑Dressing und wenigen Kapern.
- Grünkohl‑Apfel‑Zwiebel‑Salat mit Walnüssen (Rohkostanteil hoch halten, Zwiebelaußenschichten nutzen).
- Vollkornbrot mit Quark, Kräutern und fein geschnittenen roten Zwiebeln; dazu grüner oder schwarzer Tee.
Realitätscheck: Die Ernährung deckt häufig nur zweistellige mg‑Mengen – weit entfernt von 500–1.000 mg/Tag der meisten Studien. Supplemente können die Lücke schließen, wenn klinisch sinnvoll. USDA‑Flavonoid‑Datenbank.
Sicherheit, Interaktionen und wer nicht supplementieren sollte
Quercetin gilt in üblichen Studieneinsätzen (500–1.000 mg/Tag über 8–12 Wochen) als gut verträglich; gelegentlich treten milde Magen‑Darm‑Beschwerden oder Kopfschmerzen auf. Kurzfristig waren 2.000 mg/Tag (1 Woche) in einer Dosis‑Eskalations‑RCT unauffällig. Langzeitdaten in hohen Dosierungen sind begrenzt. Sicherheits‑RCT.
Arznei‑Interaktionen: Quercetin und Metaboliten können Leberaufnahme‑Transporter (OATP1B1/1B3/2B1) und den Effluxtransporter BCRP beeinflussen. In einer Humanstudie stieg die Exposition von Pravastatin um etwa 24–31 % – relevant v. a. für Statine und andere Transporter‑Substrate. In vitro gibt es Hinweise auf schwache CYP3A4/CYP2C19‑Hemmung; klinische Relevanz unklar. Theoretisch sind antithrombozytäre Effekte möglich (Vorsicht mit Antikoagulanzien/Thrombozytenhemmern). Bitte Wechselwirkungen mit Arzt/Apotheker prüfen – besonders bei Statinen, Cyclosporin, manchen Calciumkanalblockern und Gerinnungshemmern. OATP1B1‑Interaktion/Pravastatin.
Besondere Gruppen: Schwangerschaft/Stillzeit, relevante Nierenerkrankungen sowie Personen mit komplexer Polypharmazie – nur nach ärztlicher Rücksprache, ggf. meiden.
Kurzfristig gut verträglich; prüfen Sie Interaktionen (z. B. mit Statinen). Bei Risikogruppen nur mit medizinischer Begleitung.
EU/Deutschland: Was ist erlaubt – und was nicht?
Für Quercetin gibt es derzeit keine zugelassenen gesundheitsbezogenen Aussagen nach EU‑Health‑Claims‑Verordnung (Art. 13). In Deutschland gelten Nahrungsergänzungsmittel rechtlich als Lebensmittel (NemV), nicht als Arzneimittel; krankheitsbezogene Werbung ist unzulässig. Hersteller müssen Produkte beim BVL anzeigen – eine Zulassung/Einzelprüfung erfolgt nicht. Details liefern EFSA, BMEL und BfR. EFSA‑Bewertung zu Quercetin‑Claims; BMEL‑Info zu Nahrungsergänzungsmitteln; BfR‑FAQ.
Kein EU‑Health‑Claim für Quercetin. NEM sind Lebensmittel; Aussagen dürfen keine Krankheiten behandeln oder verhindern versprechen.
Wie wähle ich ein Quercetin‑Produkt in Deutschland?
- Form & Transparenz: Bevorzugen Sie Formen mit verbesserter Bioverfügbarkeit (z. B. Lecithin‑„Phytosome“, Isoquercitrin/EMIQ, ggf. Cyclodextrin‑Komplexe) mit klarer Angabe zur Quercetin‑Äquivalenz. Vermeiden Sie „Proprietary Blends“ ohne Mengenangaben. Phytosome‑Daten; Review Bioverfügbarkeit.
- Qualität: Achten Sie auf GMP‑Herstellung und unabhängige Tests. Für Wettkampfsportler: Listen wie die Kölner Liste oder internationale Siegel (z. B. Informed Choice) können das Dopingrisiko minimieren.
- „Stacking“ (optional): Vitamin C kann oxidiertes Quercetin theoretisch recyceln; klinische Synergien für Entzündung sind außerhalb spezieller Kontexte (z. B. COVID‑Adjunkttherapien) nicht belegt – daher als spekulativ kennzeichnen.
- Excipients & Verträglichkeit: Prüfen Sie Hilfsstoffe (z. B. Sojalecithin, Cyclodextrine), wenn Sie empfindlich reagieren.
Ihr 8–12‑Wochen‑Aktionsplan – und wann Sie stoppen
Für wen kann ein Versuch sinnvoll sein? Erwachsene mit erhöhtem hs‑CRP/metabolischem Risiko oder Sportler während intensiver Trainingsblöcke – nach Medikationscheck.
- Baseline: hs‑CRP (± IL‑6), Lipidprofil; Symptom‑Scores (z. B. Schmerzen, Muskelkater, Morgensteifigkeit).
- Start: 500 mg/Tag zu einer Mahlzeit für 1–2 Wochen.
- Titration: Bei guter Verträglichkeit und anhaltender Indikation auf 1.000 mg/Tag steigern (ggf. höher‑bioverfügbare Form wählen).
- Tracking: Wöchentlicher Kurz‑Check der Symptome; Laborkontrolle bei Woche 8–12.
- Stop/Anpassen: Kein messbarer Nutzen nach 8–12 Wochen oder Nebenwirkungen/Interaktionen → absetzen; zuerst Lebensstilbasics (Schlaf, Kostqualität, Krafttraining, Stressmanagement) optimieren.
Sidebar A: Quick‑Reference – die stärksten Human‑Signale
- Metabolisches Syndrom/Verwandtes: kleine‑bis‑moderate CRP‑Senkung; IL‑6/TNF inkonsistent. Meta‑Analyse.
- Erholung nach Belastung: weniger Muskelkater/CK, oxidativer Stress ↓; IL‑6 meist unverändert. Sport‑Meta‑Analyse (Open Access).
- Rheumatoide Arthritis: 1 kleines RCT mit Symptom‑ und hs‑TNF‑α‑Verbesserung (500 mg/Tag). RA‑RCT.
- COVID‑19‑Adjunkt: Signale für klinische Endpunkte; Biomarker gemischt; nicht für Routine zu empfehlen. COVID‑Meta‑Analyse.
- Große Klammer: keine konsistenten Effekte quer über Kardiometabolik. Umbrella‑Review.
Sidebar B: Bioverfügbarkeits‑Spickzettel
Aglykon (Quercetin‑Dihydrat) → geringe Löslichkeit
Isoquercitrin/EMIQ → ↑ Exposition (qualitativ: ↑↑)
Lecithin‑Phytosome → ↑ bis ~20‑fach vs. Aglykon (Studienabhängig) (↑↑↑)
γ‑Cyclodextrin/Komplexe → ↑ Exposition (↑↑)
Mit Mahlzeit/Fett/Faser → ~2‑fach (↑)
Wichtig: Höhere Blutspiegel bedeuten nicht automatisch bessere klinische Outcomes.
Sidebar C: Lebensmittel‑Liste (GER‑Pantry)
- Rote/gelbe Zwiebeln (äußere Schichten nutzen)
- Kapern (salzig – sparsam verwenden)
- Buchweizen (Kascha/Grütze)
- Grünkohl
- Blaubeeren, Cranberries
Tipps: Schale erhalten, schonend garen, frisch lagern. Quelle: USDA‑Flavonoid‑Datenbank.
Longevity‑Fazit
Quercetin ist vielversprechend, aber kein universeller Entzündungsblocker. Rechnen Sie mit kontextabhängig eher modesten Effekten – die Chancen steigen bei höherem Ausgangs‑CRP, adäquater Dosis/Dauer und besserer Formulierung. Nutzen Sie Lebensmittel als Basis, messen Sie, was zählt (hs‑CRP, Symptome) – und stimmen Sie sich bei Medikamenteneinnahme mit Arzt/Apotheker ab. EU‑rechtlich sauber bleiben: keine Heilsversprechen, Supplemente bleiben Ergänzung, nicht Ersatz.
Checkliste: Smarter Quercetin‑Einsatz (DE)
- Medikationscheck (Statine, Immunsuppressiva, Gerinnungshemmer etc.) beim Arzt/Apotheker
- Baseline‑Werte: hs‑CRP (± IL‑6), Lipide; Symptom‑Notizen
- Start 500 mg/Tag mit fetthaltiger Mahlzeit; nach 1–2 Wochen auf 1.000 mg/Tag steigern, falls sinnvoll
- Formulierung wählen (z. B. EMIQ/Phytosome) bei Budget/Bedarf
- Woche 8–12: Laborkontrolle; bei fehlendem Nutzen absetzen
- Lebensstil‑Basics priorisieren (Schlaf, Eiweiß/Krafttraining, mediterrane Kost, Stress)
- Sportler: Dopingrisiko minimieren (z. B. Kölner Liste)