Verbessert Ginkgo das Gedächtnis? Was Meta-Analysen wirklich sagen
Leila WehrhahnAktualisiert:Das Wichtigste in Kürze:
Ginkgo verbessert bei Gesunden das Gedächtnis nicht. Zur Prävention von Demenz zeigt die Evidenz keinen Nutzen. Bei diagnostizierter leichter bis mittlerer Demenz kann der standardisierte Extrakt EGb 761 in 240 mg täglich kleine messbare Verbesserungen von Kognition und Alltagsfunktionen über etwa sechs Monate bringen. Produkte sollten als Arzneimittel standardisiert sein. Verträglichkeit ist meist gut. Vorsicht bei Blutverdünnern. Nutzen nach drei Monaten prüfen.
Was die gebündelte Evidenz sagt
Ginkgo gehört zu den meistgekauften „Gedächtnis“-Pflanzen in deutschen Apotheken – und sorgt für gemischte Schlagzeilen. Meta-Analysen sind hier besonders nützlich, weil sie die Gesamtheit randomisierter Studien zusammenfassen. Aber: Unterschiedliche Präparate, Studiendauern, Patientengruppen und Sponsoring können die Ergebnisse verzerren. Entsprechend lohnt ein differenzierter Blick.
Meta-Analysen bündeln Studien – doch Qualität und Vergleichbarkeit der eingeschlossenen Studien entscheiden über die Aussagekraft.
Was wird überhaupt getestet? Nicht jedes „Ginkgo“ ist dasselbe
In Studien zu kognitiven Effekten geht es meist um den standardisierten Extrakt EGb 761. Er wird mit 60%igem Aceton gewonnen und auf einen Wirkstoffbereich eingestellt: etwa 22–27% Flavonolglykoside, 5,4–6,6% Terpenlaktone und <5 ppm Ginkgolsäuren (Spezifikation gemäß Europäischem Arzneibuch). Das unterscheidet ihn klar von nicht standardisierten Nahrungsergänzungsmitteln, deren Inhaltsstoffgehalte und Verunreinigungen stark schwanken können. Details zu Herstellung und Standardisierung von EGb 761 bietet eine Übersichtsarbeit sowie methodische Angaben in einer Meta-Analyse zu Verhaltenssymptomen bei Demenz: Herstellung und Spezifikationen von EGb 761 (Frontiers in Pharmacology), Methodik und Standardisierung in RCTs (International Psychogeriatrics).
Studienergebnisse zu EGb 761 lassen sich nicht einfach auf beliebige Ginkgo-Produkte übertragen. Für reproduzierbare Effekte zählt ein standardisiertes, als Arzneimittel zugelassenes Präparat.
Drei unterschiedliche Fragen – drei verschiedene Antworten
A) Gesunde Erwachsene ohne kognitive Diagnose
Die beste Evidenz zeigt keine relevante Verbesserung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder Exekutivfunktionen. Siehe die Meta-Analyse von 13 RCTs mit über 1.100 Teilnehmenden: Meta-Analyse bei Gesunden (Hum Psychopharmacol 2012).
B) Prävention kognitiven Abbaus/Demenz
Die große GEM-Studie (n≈3.069; median 6,1 Jahre) fand keinen Rückgang der Demenzinzidenz und kein verlangsamtes kognitives Sinken unter 2×120 mg Ginkgo/Tag: GEM-Studie in JAMA. Pooled-Analysen bestätigen diesen negativen Befund.
C) Symptomatische Behandlung bei diagnostizierter Demenz
Meta-Analysen zu EGb 761 (120–240 mg/Tag, typischerweise 22–26 Wochen) berichten kleine bis moderate Verbesserungen in Kognition, Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und globalem klinischem Eindruck – am konsistentesten bei 240 mg/Tag und bei Patient:innen mit neuropsychiatrischen Symptomen. Toleranz meist gut; Sponsoring durch Hersteller ist häufig und sollte bedacht werden: Meta-Analyse EGb 761 bei Demenz (Clin Interv Aging); Verbesserung von Verhaltenssymptomen und Betreuer-Belastung (International Psychogeriatrics).
Kein Nutzen bei Gesunden, kein Schutz vor Demenz. Bei bestehender leichter bis mittelschwerer Demenz sind mit EGb 761 (240 mg/Tag) nach ~6 Monaten kleine, aber messbare Verbesserungen möglich.
Deutsche Leitlinien-Sicht
Die S3-Leitlinie „Demenzen“ wird seit 2023 als Living Guideline jährlich aktualisiert. Eine Pressemitteilung vom 11.03.2025 bestätigt das Update-Format. Für die Therapie bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer- und vaskulärer Demenz (ohne psychotische Symptome) wird EGb 761 in 240 mg/Tag als Option genannt; nicht zur Prävention: DGPPN-Pressemitteilung zur Living Guideline; Bericht zu neuen Empfehlungen in der DAZ. Auf EU-Ebene führt die EMA/HMPC Ginkgo-folium-Extrakte als „well-established use“ zur Verbesserung altersbedingter kognitiver Beeinträchtigung und Lebensqualität bei milder Demenz und empfiehlt eine Neubewertung nach ~3 Monaten: EMA/HMPC: Ginkgo folium.
In Deutschland ist EGb 761 (240 mg/Tag) eine leitliniengestützte Option bei leichter bis mittelschwerer Demenz – nicht als Prävention.
Welche Vorteile sind praktisch zu erwarten?
- Kognition: Kleine, statistisch signifikante Verbesserungen auf Skalen wie ADAS-Cog oder SKT nach ~6 Monaten im Vergleich zu Placebo (Clin Interv Aging Meta-Analyse).
- Alltagsfunktionen und globaler Eindruck: Kleine bis moderate Zugewinne; besonders bei Patient:innen mit neuropsychiatrischen Symptomen (Clin Interv Aging; International Psychogeriatrics).
Sicherheit & Interaktionen
- Verträglichkeit: In RCTs vergleichbar mit Placebo; häufig leichte GI-Beschwerden oder Kopfschmerzen (Clin Interv Aging).
- Blutungsrisiko: RCT-/Meta-Analysen mit standardisierten Extrakten zeigen keine erhöhte Blutungsrate oder klinisch relevante Effekte auf Standard-Hämostaseparameter; dennoch existieren Fallberichte/Beobachtungsdaten – Vorsicht bei Antikoagulanzien/Thrombozytenaggregationshemmern (Systematische Übersichtsarbeit zu Hämostaseparametern; Interaktions-Review). Neuere Real-World-Analysen diskutieren Interaktionsmuster und unterstreichen die Notwendigkeit ärztlicher Prüfung (Analyse zu Interaktionen und Blutungsrisiko, 2025).
- Warnhinweise der EMA: Bei Blutungsneigung oder gleichzeitiger Antikoagulation nur nach ärztlicher Rücksprache; Nutzen nach ~3 Monaten prüfen (EMA/HMPC).
- Samen/Blätter roh: Ginkgo-Samen enthalten Ginkgotoxin; rohe Samen/Blätter können problematische Stoffe (z. B. hohe Ginkgolsäuren) enthalten. In Arzneimitteln ist Ginkgolsäure auf <5 ppm limitiert; bei Nahrungsergänzungen fehlen feste Grenzwerte (Verbraucherzentrale: Qualitäts- und Sicherheitsaspekte).
Mehr zu möglichen Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Interaktionen finden Sie im Beitrag Ginkgo: Nebenwirkungen.
Standardisierte Ginkgo-Arzneimittel gelten als gut verträglich. Bei Blutverdünnern ärztlich abklären; rohe Samen/Blätter meiden. Auf Standardisierung (<5 ppm Ginkgolsäuren) achten.
Sollten Sie es ausprobieren?
Wer infrage kommt: Menschen mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer- oder vaskulärer Demenz (ohne psychotische Symptome), die – zusätzlich zu Standardtherapien – eine optionale pflanzliche Ergänzung testen möchten. Empfehlung: gemeinsam mit der behandelnden Ärztin/dem Arzt entscheiden (DAZ-Übersicht zur Leitlinie).
Was und wie lange: EGb 761, 240 mg/Tag, Testphase 3–6 Monate; klare Ziele (z. B. Kognition, ADL, Betreuungsaufwand) definieren und regelmäßig prüfen. Fortsetzen nur bei spürbarem Nutzen und guter Verträglichkeit (Clin Interv Aging Meta-Analyse).
Was Sie nicht erwarten sollten: Keine Prävention, keine Leistungssteigerung bei Gesunden und kein Ersatz für Maßnahmen mit gesichertem Einfluss auf gesundes Altern (Bewegung, Blutdruck/Metabolik managen, Schlaf, Hörversorgung, soziale/kognitive Aktivität). Zur fehlenden Präventionseffektivität: GEM-Studie.
Sicherheits-Checkliste vor dem Kauf:
- Ärztliches Gespräch bei Einnahme von Antikoagulanzien/Antiplättchenmitteln oder vor Operationen (Absetzzeitpunkt abklären).
- Bevorzugen Sie Apotheken-Arzneimittel mit Standardisierung gemäß Pharm. Eur. (ca. 24/6; <5 ppm Ginkgolsäuren) – erkennbar an der Zulassungsnummer; Nahrungsergänzungen sind nicht gleichwertig (EMA/HMPC, Verbraucherzentrale).
- Starten Sie mit klaren Zielen und dokumentieren Sie Veränderungen (Skalen/Alltagsziele, Rückmeldung von Angehörigen).
So lesen Sie eine Ginkgo-Meta-Analyse (90 Sekunden)
- Standardisierung: Handelt es sich um EGb 761 oder gemischte Präparate?
- Population/Outcome: Gesunde vs. MCI vs. Demenz; Kognition vs. ADL vs. globale Einschätzung/Verhaltenssymptome.
- Dosis/Dauer: Signale erscheinen v. a. bei 240 mg/Tag und ≥22–26 Wochen (Clin Interv Aging).
- Bias-Check: Sponsoring, Publikationsbias, Heterogenität, Selektions-/Reporting-Bias.
Alternativen und starke Hebel für kognitives Altern
Die robustesten Effekte zeigen sich nicht in Pillen, sondern in Gewohnheiten und medizinischen Basics: regelmäßiges Ausdauer- und Krafttraining, Blutdruck- und metabolische Kontrolle (HbA1c, Lipide), guter Schlaf, Hörstörung behandeln, mediterran geprägte Ernährung, soziale und kognitive Aktivität. Ginkgo kann in ausgewählten Demenzsituationen ein zusätzliches Puzzleteil sein – kein Grundpfeiler.
Eine kuratierte Übersicht einschlägiger Produkte finden Sie in unserer Kollektion Longevity.
Fazit
- Gesunde: Nein – kein messbarer Gedächtnisvorteil (Meta-Analyse, 2012).
- Prävention: Nein – keine Reduktion der Demenzinzidenz (GEM, JAMA 2008).
- Leichte–mittlere Demenz: Vorsichtiges „Ja, möglich“ – kleine bis moderate Verbesserungen mit EGb 761 (240 mg/Tag) über ~6 Monate; in Deutschland leitliniengestützt; Entscheidung gemeinsam treffen (Clin Interv Aging; EMA/HMPC; DAZ zur S3-Leitlinie).
Vor dem Kauf – Kurz-Check
- Zielgruppe passt (diagnostizierte leichte–mittlere Demenz; kein Einsatz zur Prävention/„Brain Boosting“).
- Produkt ist ein apothekenpflichtiges Arzneimittel mit Standardisierung (ca. 24% Flavonoide/6% Terpenlaktone; <5 ppm Ginkgolsäuren).
- Dosis und Dauer geplant (EGb 761, 240 mg/Tag für 3–6 Monate) und Verlaufskontrolle vereinbart.
- Interaktionen/OP-Termine mit Ärztin/Arzt besprochen; Nebenwirkungen bekannt.
Medizinischer Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche Beratung. Menschen mit Diagnosen, Dauermedikation (insbesondere Antikoagulanzien/Thrombozytenhemmer) oder geplanter Operation sollten die Einnahme ärztlich abklären.

