Rhodiola und Stimmung: Was Studien über Angst und Depressionen verraten
Leila WehrhahnAktualisiert:Executive Summary: Rhodiola rosea (Rosenwurz) ist ein sogenanntes Adaptogen mit langer Tradition gegen stressbedingte Müdigkeit. In der EU ist es als traditionelles pflanzliches Arzneimittel für die vorübergehende Linderung von Stresssymptomen (Müdigkeit, Erschöpfung) registriert – nicht zur Behandlung von Angststörungen oder Depressionen. Die Datenlage zur Stimmung ist gemischt: Eine kleine, placebokontrollierte Studie bei Major Depression sah Sertralin im Vorteil; Rhodiola war nicht besser als Placebo, aber besser verträglich. Ergebnisse zu Angst sind vorläufig und methodisch begrenzt. Wer Rhodiola nutzt, sollte es kurzzeitig zur Stressunterstützung einsetzen, auf zugelassene Produkte achten und bei Angst/Depression ärztliche Hilfe suchen. EMA‑Monographie (Revision 1, 20.03.2024).
1) Warum „noch ein Stimmungs‑Supplement” kein Wundermittel ist
„Pflanzlich” heißt weder automatisch harmlos noch automatisch wirksam gegen Angst oder Depression. Gerade im Bereich Longevity lohnt es sich, neugierig zu bleiben – aber mit kühlem Kopf: Es gibt interessante, jedoch begrenzte Hinweise auf stimmungsbezogene Effekte von Rosenwurz. Dieser Leitfaden zeigt, wie Sie Rhodiola in Deutschland/EU realistisch und sicher einordnen.
Rhodiola ist kein bewiesenes Antidepressivum oder Anxiolytikum. Nutzen Sie es – wenn überhaupt – vorsichtig und mit realistischen Erwartungen.
2) Rhodiola 101: Was ist Rosenwurz, und wie ist es in der EU zugelassen?
Rhodiola rosea, deutsch Rosenwurz, ist die Wurzel eines arktisch‑alpinen Dickblattgewächses. Als Hauptinhaltsstoffe gelten vor allem Rosavine (z. B. Rosavin, Rosin) und Salidrosid. In der EU stuft die EMA Rhodiola als traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur vorübergehenden Linderung von Stresssymptomen wie Müdigkeit und Erschöpfung ein. Es ist nicht zur Behandlung von Angst oder Depression zugelassen. Anwendung bei Erwachsenen; wenn die Beschwerden länger als zwei Wochen anhalten, soll ärztlicher Rat eingeholt werden. Übliche Tagesdosis in zugelassenen Präparaten: 144–400 mg/Tag in 1–2 Einzeldosen. Details finden Sie in der EMA‑Monographie.
Oft wird Rhodiola als Adaptogen bezeichnet – Substanzen, die die physiologische Stressantwort modulieren und die Widerstandskraft gegenüber Stressoren verbessern könnten. Das Konzept entstammt der Stressforschung und bezieht sich auf die Anpassungsreaktionen von HPA‑Achse und zellulären „Stress‑Chaperonen” wie Hsp70. Eine klinische Wirksamkeit auf Stimmungslagen lässt sich daraus jedoch nicht automatisch ableiten. Eine vielzitierte Übersicht zur Adaptogenbiologie fasst die Hypothesen zusammen: Übersichtsarbeit zu Adaptogenen.
In der EU ist Rhodiola als traditionelles Arzneimittel gegen Stresssymptome zugelassen. Adaptogen ist ein Konzept – kein Wirksamkeitsbeleg gegen Angst/Depression.
3) Evidence Snapshot: Was sagen Studien auf einen Blick?
- Depression: Randomisierte, placebokontrollierte Studie (n=57) über 12 Wochen: Sertralin zeigte die numerisch stärkste Abnahme der Depressionswerte; Rhodiola war insgesamt nicht Placebo überlegen, aber besser verträglich als Sertralin. Studie bei Major Depression (Mao 2015).
- Angst: Randomisierte 14‑Tage‑Studie bei mild ängstlichen Personen ohne Placeboarm (2×200 mg/Tag) mit Verbesserung subjektiver Stress-/Angstwerte; ein offener Pilot bei GAD (n=10) zeigte Signale, aber ohne Kontrolle. Cropley 2015, Bystritsky 2008.
- Stress/Müdigkeit: Gemischt: einzelne Studien deuten Anti‑Fatigue‑Effekte an; ein qualitativ gutes RCT bei Pflegestudierenden fand nach 42 Tagen einen Vorteil für Placebo gegenüber Rhodiola bei Müdigkeit. RCT bei Pflege‑Studierenden.
- Systematische Übersichten: Mögliche Verbesserungen bei milder Depression/Angst, aber kleine Stichproben und Bias‑Risiko; Bedarf an besseren RCTs. Systematische Übersicht (2020).
4) Rhodiola und Depression: Ein genauer Blick
Die Phytomedicine‑Studie von 2015 verglich standardisierte Rhodiola‑Extrakte, Sertralin und Placebo über 12 Wochen bei milder bis moderater Major Depression. Primäre Outcomes waren u. a. HAM‑D, BDI und CGI. Ergebnis: Reduktionen der Depressionswerte in allen Armen, jedoch ohne signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Numerisch schnitt Sertralin am besten ab (HAM‑D −8,2), Rhodiola lag dazwischen (−5,1), Placebo dahinter (−4,6). Wichtig: Unerwünschte Ereignisse traten unter Sertralin deutlich häufiger auf (63 %) als unter Rhodiola (30 %) oder Placebo (17 %). Interpretation: Rhodiola zeigte allenfalls moderate Signale, aber keine robuste Wirksamkeit gegenüber Placebo; die Verträglichkeit war günstig. Praktische Schlussfolgerung: Rhodiola ist kein Erstlinientherapeutikum bei Depression. Wenn überhaupt, dann nur bei milden Verläufen und in Absprache mit Ärztin/Arzt – leitlinienbasierte Psychotherapie/Antidepressiva bleiben Standard. Details zur RCT.
Bei Depression war Rhodiola in einer kleinen Studie nicht besser als Placebo; Sertralin wirkte stärker, verursachte aber mehr Nebenwirkungen.

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5) Rhodiola und Angst: Was ist belegt – und was nicht?
Die randomisierte 14‑Tage‑Studie bei mild ängstlichen Erwachsenen nutzte 2×200 mg/Tag eines Rhodiola‑Präparats und verglich gegen „keine Behandlung” (ohne Placebo). Subjektive Angst‑/Stress‑Scores verbesserten sich im Rhodiola‑Arm. Ohne Placebo lässt sich jedoch nicht sicher beurteilen, wie viel auf Erwartungseffekte entfällt; die Studiendauer war kurz. Ein offener Pilot bei GAD (n=10; ~340 mg/Tag für 10 Wochen) beschrieb sinkende HARS‑Werte und eine ordentliche Verträglichkeit – mangels Kontrollgruppe bleibt die Aussagekraft limitiert. Randomisierte Studie ohne Placebo; offener GAD‑Pilot.
Bottom line: Für Angststörungen ist die Evidenz zu schwach für konkrete Wirkaussagen. Priorisieren Sie bewährte Optionen (Psychoedukation, Psychotherapie, ggf. Pharmakotherapie). Wer Rhodiola ausprobieren möchte, sollte es als kurzfristige Unterstützung der Stressbewältigung sehen – nicht als Ersatz für eine Diagnose oder Behandlung.
Zu Angst gibt es nur vorläufige Hinweise. Bevorzugen Sie bewährte Therapien; Rhodiola kann allenfalls kurzfristig ergänzen.
6) Mögliche Wirkmechanismen – ohne Übertreibung
Hypothesen umfassen eine Modulation der Stresssysteme (HPA‑Achse), eine Erhöhung von zellulären „Stress‑Chaperonen” wie Hsp70 und Effekte auf Signalwege wie JNK/FOXO. Solche Mechanismen sind in präklinischen Modellen beschrieben, ihre klinische Relevanz für Stimmung bleibt jedoch unklar. Mechanistische Übersichten.
In vitro wurde für einzelne Rhodiola‑Bestandteile (z. B. Rosiridin) eine Hemmung der Monoaminoxidase (MAO‑A/‑B) gezeigt. Ob die beim Menschen erreichten Spiegel einer üblichen Dosierung klinisch relevant sind, ist unbekannt – direkt ableiten lässt sich daraus keine antidepressive Wirksamkeit. MAO‑Hemmung in vitro.
Es gibt plausible, aber nicht bewiesene Mechanismen. Laborbefunde bedeuten nicht automatisch klinische Wirksamkeit.
7) Sicherheit, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen (DE/EU‑Kontext)
Laut EMA gilt Rhodiola als im Allgemeinen gut verträglich. Mögliche Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Magen‑Darm‑Beschwerden, Hautreaktionen. Anwendung nur bei Erwachsenen; in Schwangerschaft/Stillzeit wird es mangels Daten nicht empfohlen. Die HMPC‑Monographie vermerkt: „Keine klinisch relevanten Wechselwirkungen beobachtet” – allerdings sind Human‑Daten begrenzt. EMA‑Monographie. Einen vertiefenden Überblick zur Langzeit‑Sicherheit von Rhodiola finden Sie in unserem Beitrag: Rhodiola: Langzeit‑Sicherheit.
Aus der Praxis existiert ein Fallbericht über serotonerge Symptome unter gleichzeitiger Einnahme von Paroxetin und Rhodiola. Ein Einzelfall beweist keine Kausalität, mahnt aber zur Vorsicht bei gleichzeitiger Einnahme serotonerger Medikamente (SSRI/SNRI) – klären Sie Kombinationen ärztlich oder mit Ihrer Apotheke. Fallbericht zu Paroxetin + Rhodiola.
Zudem sind gesundheitsbezogene Werbeaussagen in der EU streng reguliert. Die EFSA hat 2012 einen Health‑Claim zur „mentalen Müdigkeit” für einen bestimmten Rhodiola‑Extrakt nicht bestätigt. Das schützt Verbraucherinnen/Verbraucher vor überzogenen Versprechen. EFSA‑Gutachten.
Meist gut verträglich, aber Vorsicht bei Kombination mit Antidepressiva. EU‑Regeln begrenzen Werbeaussagen – gut für realistische Erwartungen.
8) Verantwortungsvolle Anwendung: Wenn Sie Rhodiola testen möchten
- Für wen es passen kann: Erwachsene mit stressbedingter Müdigkeit, die kurzfristig Unterstützung suchen. Nicht als Selbstbehandlung einer Angststörung oder Depression gedacht.
- Dosis & Tageszeit: Starten Sie niedrig im EMA‑Bereich, z. B. 144–200 mg morgens; optional eine zweite Dosis zur Mittagszeit. Späte Abendgaben eher meiden, um möglichen Schlafstörungen vorzubeugen. Posologie laut EMA.
- Testfenster: Führen Sie ein 14‑Tage‑Symptomprotokoll (Energie, Schlaf, Stressgefühl). Wenn keine Besserung, absetzen. Halten Symptome länger als zwei Wochen an, ärztlich abklären. EMA‑Seite zu Rhodiola.
- Sofort zum Arzt/zur Ärztin: Deutlich ausgeprägte depressive Symptome (z. B. PHQ‑9 ≥ 10), Suizidgedanken, starker Leidensdruck/Leistungsabfall, Verdacht auf Angststörung oder Panikattacken.
Kurz testen, Effekte protokollieren, bei ausbleibender Besserung absetzen. Bei anhaltenden oder schweren Symptomen ärztliche Hilfe suchen.
9) Produktqualität, Nachhaltigkeit & Einkauf in Deutschland
Bevorzugen Sie zugelassene „traditionelle pflanzliche Arzneimittel” statt bloßer Nahrungsergänzungen. Achten Sie auf eine Standardisierung (Rosavine/Salidrosid), eine deutsche Packungsbeilage und eine Zulassungsnummer. Die EMA‑Monographie ist eine gute Referenz für zugelassene Qualitäten. EMA‑Info zu zugelassenen Präparaten.
Unabhängige Analysen zeigen: Der Unterschied zwischen registrierten Arzneimitteln und unregistrierten Online‑Produkten kann erheblich sein. In einer europäischen Untersuchung waren viele frei verkäufliche Produkte unterdosiert oder verfälscht (Substitution mit anderen Rhodiola-Arten); registrierte Produkte schnitten deutlich besser ab. Phytomedicine‑Studie zur Authentizität, UCL‑Zusammenfassung.
Nachhaltigkeit/CITES: Seit 2023 sind Rhodiola-Arten im CITES‑Anhang II gelistet; beim internationalen Handel gelten Auflagen (mit Ausnahmen für fertige Endprodukte). Fragen Sie nach nachweislich CITES‑konformer Herkunft. CITES‑Dokumente zu Rhodiola und eine unabhängige Konferenzberichterstattung bestätigen die Listung. Zusammenfassung der CITES‑Beschlüsse (COP19).
Einkaufs‑Checkliste:
- Zugelassenes traditionelles pflanzliches Arzneimittel (keine reine Nahrungsergänzung)
- Standardisiert auf Rosavine und Salidrosid; klare Chargenangaben
- Transparenter Ursprung und CITES‑Konformität entlang der Lieferkette
- Seriöser Anbieter mit verständlicher Packungsbeilage und Kontaktmöglichkeit
Kaufen Sie registrierte, standardisierte Produkte und achten Sie auf CITES‑konforme Herkunft. So minimieren Sie Qualitäts‑ und Nachhaltigkeitsrisiken.
10) Wo passt Rhodiola in eine langlebigkeitsorientierte Mood‑Strategie?
Die starken, robust belegten Säulen sind: Schlafrhythmus (gleichmäßige Bett‑/Aufstehzeiten), körperliche Aktivität, Tageslicht, Ernährungsqualität und – bei Angst/Depression – evidenzbasierte Psychotherapie/Medizin. Rhodiola kann für manche Erwachsene als kurzfristiger Begleiter gegen stressbedingte Müdigkeit dienen, sollte aber niemals eine fachgerechte Diagnostik und Behandlung ersetzen. Die gemischte Studienlage (inklusive negativer Ergebnisse bei Müdigkeit) spricht für eine nüchterne Einordnung. Negatives RCT zu Müdigkeit, systematische Übersicht.
Setzen Sie auf die großen Hebel (Schlaf, Bewegung, Licht, Therapie). Rhodiola kann allenfalls ergänzen – kurzzeitig und bewusst.
Hinweis: Dieser Artikel dient der Aufklärung und ersetzt keine ärztliche Beratung.
Wenn Sie anhaltende Stimmungssymptome haben, sprechen Sie bitte mit Ihrer Hausärztin/Ihrem Hausarzt. Für die Auswahl zugelassener Produkte ist Ihre Apotheke eine gute erste Anlaufstelle. Falls Sie Rhodiola testen möchten, führen Sie ein 14‑Tage‑Protokoll (Energie, Schlaf, Stress), bewerten Sie ehrlich – und brechen Sie ab, wenn kein Nutzen spürbar ist.